Zwischen Deutschland und Frankreich

Vor 90 Jahren kehrte das Saarland nach Volksabstimmung zurück zum Deutschen Reich

 — © Foto: Sammlung AR
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Eine Neujahrspostkarte wies auf die Saarabstimmung am 13. Januar 1935 hin. In ihr stimmten rund 90 Prozent der Menschen für eine Rückkehr zu Deutschland.

Nach dem Ersten Weltkrieg stand das Saargebiet unter Völkerbundverwaltung und war französischer Einflussnahme aufgesetzt. 1935 stimmte die Mehrheit für die Rückkehr zu Deutschland, zum 1. März wurde das Gebiet ins Reichs rückgegliedert. 1945 trennte Frankreich das Saarland erneut ab. Der erste Bundeskanzler Konrad Adenauer wollte die Region zunächst als Symbol der Westbindung europäisieren. Die wechselvolle Geschichte erläutert im Interview der Leiter des Saarbrücker Stadtarchivs, Hans-Christian Herrmann.

Herr Herrmann, warum stand das Saargebiet nach dem Ersten Weltkrieg unter der Verwaltung des Völkerbunds? Und welche Folgen hatte das?
Nach dem Vertrag von Versailles im Jahre 1919 stand das Saargebiet unter die Verwaltung des Völkerbunds. Dies geschah, weil die Region – besonders wegen ihrer Kohlevorräte – wirtschaftlich bedeutend war und als Kompensation für die enormen Kriegsschäden dienen sollte, die Frankreich erlitten hatte. Die französische Regierung bekam das Recht, die Saar-Kohleminen auszubeuten. Allein daraus entstanden zahlreiche Spannungen, soziale Konflikte vermischten sich mit gefühlter natio­naler Bevormundung und Demütigung.
 
1935 stimmten die Menschen im Saarland darüber ab, ob sie zurück zu Deutschland wollten. Wie eindeutig fiel die Abstimmung zugunsten des Deutschen Reichs aus?
Sie fand am 13. Januar 1935 unter internationaler Aufsicht statt. Mehr als 90 Prozent der Wähler stimmten für die Rückkehr zum Deutschen Reich. Das Saargebiet wurde am 1. März des gleichen Jahrs offiziell in das Deutsche Reich eingegliedert.
 
Gab es Widerstand gegen die Eingliederung ins nationalsozialistische Deutschland?
Kommunisten, Sozialdemokraten und andere NS-Gegner übten an der Saar Widerstand aus, wie auch einige Katholiken. Aus Hitler-Deutschland flohen 1933 viele Linke und Juden ins Saargebiet. Nach dem 13. Januar 1935 beziehungsweise dem Tag der Abstimmung flohen viele von ihnen ins Ausland, vor allem nach Frankreich.
Warum wurde das Gebiet nach 1945 ein zweites Mal von Deutschland abgetrennt? 
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Saargebiet erneut von Deutschland abgetrennt, weil Frankreich wirtschaftliche und sicherheitspolitische Interessen verfolgte, zum dritten Mal nach 1870/71 war es Kriegsschauplatz gewesen. Frankreich wollte das industrielle Poten­zial der Region nutzen, insbesondere die Kohlevorkommen, und eine direkte Kontrolle über das Gebiet gewinnen, um vor Deutschland sicher zu sein.
Deshalb wurde das Saarland 1947 in eine französische Zoll- und Währungsunion überführt und erhielt eine eigene Regierung. Erst nach der Ablehnung des Saarstatuts in einer Volksabstimmung 1955 wurde der Weg für die Rückkehr zur Bundesrepublik Deutschland frei, die am 1. Januar 1957 vollzogen wurde.
 
Welche Folgen hatte die französische Verwaltung für Wirtschaft und Politik?
Unter französischer Verwaltung wurde das Saarland wirtschaftlich eng an Frankreich gebunden. Es nutzte den Saar-Franken, unterstand der französischen Zollunion, und Frankreich kontrollierte die Kohle- und Stahlindustrie. Politisch erhielt das Saarland eine eigene Regierung, blieb aber stark von Frankreich beeinflusst. Früher als in den Westzonen verbesserten sich die Lebensverhältnisse. 
Die von Antifaschisten – Katholiken, Sozialdemokraten – beziehungsweise früheren Gegnern der Rückgliederung an Hitler-Deutschland geführte Regierung unter Johannes Hoffmann ging zwar den Weg einer westlichen Demokratie und wollte Brücke deutsch-französischer Freundschaft und europäischer Einigung sein, verlor aber durch ihre autoritär pädagogisierenden Freiheitseinschränkungen massiv an Legitimation.
 
Das Saar-Statut von 1954 sollte das Saarland europäisieren. Weshalb lehnte es die Mehrheit ab?
Die Saarländer lehnten das Saar-Statut ab, weil sie die Rückkehr nach Deutschland wollten, eine dauerhafte Abtrennung fürchteten und das Wirtschaftswunder der Bonner Republik wahrnahmen. Die enge wirtschaftliche Bindung an Frankreich verlor an Attraktivität und die politische Bevormundung stieß auf Widerstand. Das Votum war eindeutig, woraufhin das Saarland 1957 zur Bundesrepublik zurückkehrte.
 — © Foto: Stiftung Demokratie Saarland
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Hans-Christian Herrmann, der Leiter des Stadtarchivs Saarbrücken, bei einem Vortrag.
Wurde die Bevölkerung von Deutschland und Frankreich im Abstimmungskampf beeinflusst?
Von Frankreich keineswegs, wohl aber von der Bundesrepublik. Sie unterstützte die prodeutschen Parteien CDU, DSP (SPD) und DPS (später FDP), die lange Zeit an der Saar verboten waren.
 
Welche Rolle spielte das kleine Land in Adenauers Konzept der Westbindung?
Adenauer setzte aus seiner Lebens- und Leiderfahrung auf eine deutsch-französische Aussöhnung. Der letzte Bremsklotz auf diesem Weg war die ungelöste Saarfrage. Das Saar-Statut vom 23. Oktober 1955 löste ihn. Frankreich akzeptierte das Ergebnis. Eine Parteinahme dagegen hätte Adenauers Glaubwürdigkeit gegenüber Frankreich beschädigt. Er erwartete wohl auch ein Ergebnis mit einem Votum für die Bonner Republik. Und so kam es auch.
 
Interview: Andreas Raffeiner
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