Bistum Augsburg: Leben von Eremitin Schwester Annette Maria ist von Schweigen und Gebet geprägt
In der Stille leer werden für Gott

PFAFFENHOFEN – Am Ende ihrer Berufstätigkeit als Gemeindereferentin und später als Krankenhausseelsorgerin hat sich Schwester Annette Maria zu einem Leben als Eremitin entschieden. Vor etwas mehr als einem Jahr legte sie vor Bischof Bertram Meier ihr Gelübde ab und lebt seitdem nach einer selbst erstellten Regel. Die Katholische SonntagsZeitung hat sie an der Gebetsstätte Marienfried (Kreis Neu-Ulm) getroffen, wo sie als Mesnerin aushilft.
Schwester Annette Maria, wann ist in Ihnen der Wunsch entstanden, als Eremitin zu leben?
Dieser Wunsch hat mich schon viele Jahre begleitet. Prägend war für mich bereits meine Kindheit. Ich bin sehr einsam aufgewachsen, am Stadtrand, auf einer Insel in der Nahe. Da hatte ich wenig Kontakte, und ich habe viel mit Gott gesprochen, obgleich ich nicht sonderlich religiös erzogen wurde und Glaube und Kirche keine große Rolle spielten.
Nach meiner Bekehrung in den 80er Jahren in Berlin hatte ich den starken Wunsch, alleine zu sein und mich ganz aus meinem Alltagsleben herauszubegeben. Ich wollte eine einfache Arbeit und eine Wohnung bei einer Kirche. Ich war damals Sozialarbeiterin in der Obdachlosenarbeit. Schließlich kündigte ich und fand schnell eine günstige kleine Wohnung in einem Pfarrzentrum in Berlin Kreuzberg.
Gleichzeitig nahm ich eine Halbtagsstelle als Putzkraft an. So verließ ich meinen bisherigen Freundeskreis und hatte viel Zeit, alleine zu beten und mich sozusagen einer ganz neuen Beziehung zu widmen: der mit Jesus Christus, und das ausschließlich. Im Grunde war das schon ein eremitisches Leben.
Aber ich wollte mehr von Kirche und kirchlichem Leben wissen und erfahren – von der Kirche, die ich früher belächelt hatte. Sie sollte meine Heimat werden, und ich suchte meinen Platz in ihr. So streckte ich meine Fühler in Richtung Gemeinschaftsleben aus. Bald verließ ich Berlin und lebte eine Zeit lang in einer kontemplativen Gemeinschaft in meiner Heimat Rheinland-Pfalz. Danach suchte ich auch Anschluss an eine freie Gemeinschaft. Beides war nicht meine Berufung. Aber ich habe von dieser Zeit sehr viel für mein jetziges eremitisches Leben profitiert.
Nach einer theologischen Ausbildung und Weiterqualifizierung arbeitete ich als pastorale Mitarbeiterin und später als Klinik- und Psychiatrieseelsorgerin. Das war alles in der Diözese Augsburg, der ich sehr viel verdankte und noch verdanke.
Meine berufliche Tätigkeit war da immer auch begleitet von meinem geistlichen Leben. Mit meinem geistlichen Begleiter besprach ich vor meinen Eintritt in den Ruhestand, dass ich am liebsten Eremitin werden möchte. Ich nahm Kontakt mit unserem Ordensreferenten, Domvikar Andreas Miesen, auf, und so durfte ich mit der Vorbereitungszeit beginnen.
Es gab also eine Zeit, in der Sie nicht gläubig waren, mit Kirche nichts am Hut hatten?
Ja. Ich hatte diesen „Aussetzer“, wenn man das so nennen mag, zwischen meinem 15. und dem 29. Lebensjahr. Dabei ist wichtig, dass jemand über Jahre hinweg für mich gebetet hat: für meine Bekehrung. Das hat ja schließlich gefruchtet.
Daher rate ich den Leuten, zum Beispiel Eltern oder Großeltern, immer, nicht aufzugeben, wenn sie meinen, es habe doch keinen Zweck, weiter zu beten, wenn jemand sich vom Glauben und auch von der Kirche verabschiedet hat. Nein, es wird zu seiner Zeit gut werden, wenn man nicht aufgibt. Wir wissen das von der heiligen Monika, der Mutter des heiligen Augustinus.
Sie sind Diözesaneremitin und haben vor dem Bischof Ihr Gelübde abgelegt. Warum war Ihnen dieser Schritt wichtig?
Mir war und ist es wichtig, meine Berufung als Eremitin nicht irgendwie frei zu leben, sondern mit offizieller Bindung an die Kirche, mit Versprechen in die Hände des Bischofs von Augsburg nach dem Kirchenrecht als eigene Form „gottgeweihten Lebens“.
Dass sich heute immer mehr Menschen von der Kirche entfernen, ist ein Grund mehr für mich, für und in der Kirche zu beten und zu leben. Ich höre immer wieder Stimmen, die sagen: „Was du da lebst, das kannst du doch auch außerhalb der Institution Kirche leben.“ Nein, die Kirche ist hier auf Erden auf dem Weg und auch nicht immer perfekt.
Christus hat den Menschen seine Treue zugesagt. Als eucharistischer Herr wartet er auf uns – nicht nur während der Heiligen Messe, sondern auch in der Einsamkeit des Tabernakels. Ihn dort immer wieder aufzusuchen, ihm nahe zu sein, um Zwiesprache zu halten, ihm das Elend der Welt hinzuhalten und für seine Wohltaten zu danken, ist mir ein Herzensanliegen.
Das heißt für mich, die Glut der Liebe unter der Asche zu entfachen. Das möchte ich als Eremitin leben. Da gibt mir die Kirche Halt und Stütze.
Sie leben nicht abgeschieden, sondern in einer Wohnung inmitten einer Nachbarschaft. Was ist Ihnen am eremitischen Leben wichtig?
Es gibt einen Spruch bei den Eremiten: Was unterscheidet einen Eremiten von einem anderen Eremiten? Antwort: Ein anderer Eremit. Es gibt Eremiten, die ähnlich den Wüstenvätern sehr abseits leben, zum Beispiel im Wald. Ich kenne auch einen Eremiten, der in einer Schlucht lebt, andere sind in anderer Weise abseits der Zivilisation. Aber auch in einem Hochhaus mitten in der Großstadt kann ein Eremit leben.
Dies ist alles möglich, wenn das Wesentliche stimmt: ein Leben in Einsamkeit, im Schweigen, im Gebet. In meinem nicht mehr jungen Alter hielt ich es nicht für ratsam, mein eremitisches Leben im Wald zu leben, obgleich ich das anfangs durchaus in Erwägung gezogen habe.
Schließlich habe ich mich entschlossen, in meiner Wohnung zu bleiben. Letztlich zeichnet sich eine Eremitin nicht durch den Ort aus, an dem sie wohnt, sondern durch das innere Leben.
Woran erkennt man an Ihrer Wohnung, dass eine Eremitin darin wohnt? Wie ist Ihr Oratorium eingerichtet?
Für ein eremitisches Leben ist ein einfacher Lebensstil vorgeschrieben. Demnach ist meine Wohnung einfach eingerichtet. Jeder, der sie betritt, erkennt die christliche Ausrichtung. Da gibt es Ikonen, christliche Symbole und Bilder. Ich habe einen Schreibtisch mit Laptop, ein Regal mit einigen Büchern, auch ein Radio, aber keinen Fernseher.
In meinem kleinen Oratorium verrichte ich meine Gebete, die Lesungen und Betrachtungen. Es ist schlicht, mit Kreuz, Ikonen, Gebetshocker und einem Polster ausgestattet. Früher war der Raum mein Schreibzimmer.
Sie pflegen Stille, Schweigen und inneres Gebet als geistliche Übungen. Wie verändern diese einen Menschen?
Stille, Schweigen, inneres Gebet, auch die Heilige Messe sind nicht den Eremiten vorbehalten oder den Ordensleuten. Sie sind wohl für jeden Christen der Weg, der zu einer tieferen Beziehung zu Gott führt, der ihm hilft, sein Leben mit seinen Aufgaben, sei es in der Familie, im Beruf, in der Gesellschaft, besser, klarer, stabiler zu strukturieren und zu ordnen. Im eremitischen Leben sind diese Dinge noch bestimmender und sozusagen die Hauptaufgabe.
Wie verändert es das Leben? Je mehr sich ein Mensch neben der Betriebsamkeit im Alltag, der ja in unserer Zeit sehr laut und gewöhnlich hektisch ist, in der Stille nach innen wendet und sich für Gott öffnet – ich kann auch sagen, sich von Gott anschauen lässt –, desto mehr findet er zu seiner eigentlichen Identität. Er findet mehr zu sich selbst, nämlich so, wie Gott ihn gedacht hat.
Was bedeutet Stille für Sie? Vermutlich gehört dazu auch, dass kein Handy klingelt, keine Musik läuft?
Stille und Schweigen bedeuten für mich, Gott sprechen lassen. In der Stille, im Schweigen kann Gott Raum gewinnen; ich kümmere mich nicht mehr um mich selbst.
Genau, es sind da erst einmal äußere Bedingungen zu schaffen. Mein Anrufbeantworter am Telefon gibt bestimmte Zeiten an, in denen ich zu sprechen bin: eine Stunde am Vormittag und abends zwei Stunden.
Es ist ein Prozess: dieses Leerwerden für Gott in der Einsamkeit, im Schweigen, in der Stille. Ich bin auch noch auf dem Weg. Wie sagt der heilige Paulus: „Nicht dass ich es schon erreicht hätte … Aber ich strebe danach, es zu ergreifen“ (Phil 3,12). Ich werde mit meinen eigenen Gebrochenheiten konfrontiert. Da ist es wichtig, diese auch auszuhalten und sie nicht zu verdrängen, sondern sie Gott hinzuhalten.
Vermissen Sie manchmal etwas von dem Kontakt zu den Menschen, den Sie früher im Beruf, im Bekanntenkreis hatten?
Ich lebe die Kontakte zu Menschen, die mir nahestehen, auf andere Weise. Ich sage ja nicht zu den besten Freunden: Ich bin Eremitin, und ihr seid jetzt draußen, mit euch will ich nichts mehr zu tun haben.
Aber die Art und Weise des Umgangs hat sich verändert. Ich gehe nicht mehr zu Geburtstagsfeiern und Festen. Die Leute wissen das. Aber ich meine, dass sich die Beziehungen vertieft haben. „Von allen getrennt, mit allen vereint“ ist ein Spruch von einem Wüstenvater.
Was schätzen Sie an der Arbeit als Mesnerin?
Mesnerin bin ich aushilfsweise und ehrenamtlich in Marienfried, wo werktags drei und sonntags vier Messen gefeiert werden. Da helfe ich gerne ein wenig aus, und es macht mir Freude. Auch die Kelchwäsche bügle ich gerne. Das ist so eine ruhige Arbeit, die ja für unser Leben gut passt.
Zu einer künstlerischen Betätigung, wie sie von Eremiten gerne ausgeführt wird, wie Kerzen verzieren, Ikonen malen, fehlt mir das Talent.
Bleibt neben dem Mesnerdienst, dem Gebet und der Hausarbeit noch Zeit für ein Hobby?
Wöchentlich schreibe ich meine Betrachtungen zu den Sonntagsevangelien in Versform, die dann von einem Verein zur Glaubenserneuerung im Internet veröffentlicht werden. So übe ich mich im Verfassen kleiner Texte. Das könnte man als Hobby bezeichnen. Gerne improvisiere ich auch mit meiner Querflöte zu Hause etwas zu den betreffenden Texten. Das macht mir Freude.
Sie wollen für Hilfesuchende erreichbar bleiben. Wer bekommt Ihre Hilfe?
Jede und jeder, die oder der mich um Gebet bittet. Diese Anfragen nehmen zu, weil es sich herumspricht, dass ich Eremitin bin. Aber auch im direkten Gespräch bin ich für andere da. Da ich schon über 15 Jahre am gleichen Ort lebe, kenne ich hier auch viele Menschen, mit denen ich spreche, manchmal auch am Telefon.
In Marienfried bin ich auch zu Gesprächen bereit, auch bei Menschen, die ich weiter nicht kenne, die mir aber ihre Nöte anvertrauen. Dafür gibt es in der Gebetsstätte Räume, in denen wir sprechen können.
Interview: Ulrich Schwab
Information
Texte von Schwester Annette Maria gibt es im Internet unter www.praedicate-evangelium.de/praedicate-evangelium.