Geld, Politik und Verantwortung

Laut einer Historikerin ebnete der 1989 ermordete Finanz-Visionär Alfred Herrhausen den Weg zur Wiedervereinigung

 — © Foto: Imago/sepp spiegl
Foto: Imago/sepp spiegl
Das Bombenattentat am 30. November 1989 in Bad Homburg vor der Höhe riss Alfred Herrhausen 59-jährig aus dem Leben.

Würde er noch leben, könnte er am 30. Januar seinen 95. Geburtstag feiern. Doch sein Leben endete am 30. November 1989. Alfred Herrhausen, Vorstandssprecher der Deutschen Bank und Pionier für eine sozialverantwortliche Finanzwirtschaft, fiel einem Bombenanschlag zum Opfer. Im Exklusiv-Interview blickt Historikerin und Herrhausen-Expertin Friederike Sattler auf sein Wirken und seinen bis heute unaufgeklärten Tod zurück.

Frau Sattler, Alfred Herrhausen sprach sich für einen Schulden­erlass für Entwicklungsländer aus und sorgte damit für Schlagzeilen. Wie wurde diese Haltung in der Bankenwelt und der Politik aufgenommen? 
Herrhausens Plädoyer, über einen Schuldenerlass für hochverschuldete Entwicklungsländer nachzudenken, stieß bei vielen international tätigen Geschäftsbanken auf heftige Abwehr, gerade bei den amerikanischen Banken. Sie hatten – anders als die Deutsche Bank – bis dahin aufgrund der anderen rechtlichen Rahmenbedingungen kaum Wertberichtigungen auf die notleidenden Kredite vornehmen können, mussten also fürchten, beim Zusammenbruch auch nur einer kleinen Bank selbst in eine Schieflage zu geraten. 
Schweizer Großbanken hatten mit dem Vorschlag viel weniger Probleme, weil sie – ähnlich wie die Deutsche Bank – bereits erhebliche Wertberichtigungen vorgenommen hatten. Entwicklungspolitiker begrüßten den Vorschlag Herrhausens sogar ausdrücklich, weil er einen neuen Ansatz zur Lösung der schon seit Jahren schwelenden Schuldenkrise insbesondere lateinamerikanischer Länder versprach.
Als Vorstandssprecher der Deutschen Bank soll er auch ansonsten recht eigenwillig gewesen sein. Wie würden Sie seinen Kurs und Führungsstil beschreiben?
Der Führungsstil Herrhausens war ausgesprochen zielorientiert. Um die geschäftspolitisch anzustrebenden Ziele zu bestimmen, war es in seinen Augen unerlässlich, zunächst einmal die aktuelle Situation und die bestehenden Probleme unter Einbeziehung möglichst vieler Gesichtspunkte und Meinungen, nüchtern und sachlich zu analysieren, um zu einer rational begründeten Strategie zu gelangen, etwa für den Einstieg ins internationale Investmentbanking. Hatte er sich auf dieser Grundlage eine Meinung gebildet, war er allerdings auch überzeugt davon, dass diese „richtig“ war, hat sie also gegen Kritiker vehement verteidigt und konsequent umzusetzen versucht. Das hat manchen seiner Vorstandskollegen vor den Kopf gestoßen.
 
Herrhausen wurde von vielen als eine progressive Stimme in der Bankenbranche betrachtet. Wie hätte sich die Deutsche Bank unter seiner weiteren Führung entwickelt? 
Herrhausens zukunftsorientiertes Konzept einer globalen Universalbank mit integriertem Investmentbanking hat die Deutsche Bank in den späten 1980er Jahren überfordert, vor allem weil die Umsetzung dieses Konzepts nicht nur die Ausweitung der Geschäftsfelder, sondern auch die Durchsetzung einer neuen, weniger regional verankerten Organisationsstruktur der Bank verlangte. Es ist deshalb fraglich, ob er selbst sich als Vorstandsprecher hätte halten können, wenn er nicht am 30. November 1989 ermordet worden wäre. 
Sein Nachfolger Hilmar Kopper hat dann allerdings im Hinblick auf die neue Organisationsstruktur nur etwas Tempo und Druck herausgenommen, aber eigentlich an dem von Herrhausen eingeschlagenen Kurs festgehalten. Zu einem viel größeren Problem für die Bank wurde es, das Investmentbanking tatsächlich in die Universalbank zu integrieren. Das hat man nicht erreicht – und auch Herrhausen hätte es wahrscheinlich nicht erreichen können.
 — © Wolf P. Prange/Historisches Institut der Deutschen Bank/CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)
Wolf P. Prange/Historisches Institut der Deutschen Bank/CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)
Alfred Herrhausen im Jahr 1985.
Welche Rolle spielte Herrhausen auf dem Weg zur deutschen Wiedervereinigung? 
Den Reformkurs Michail Gorbatschows in der Sowjetunion hat Herrhausen frühzeitig als Chance begriffen, durch die Intensivierung von Kontakten auf der wirtschaftlichen Ebene den Wandel in Richtung von mehr Marktwirtschaft und größeren politischen Freiheitsgraden im ganzen Ostblock zu befördern. Diesen Reformkurs durch großzügige Milliardenkredite zu unterstützen, fand er deshalb völlig richtig und nicht – wie beispielsweise amerikanische Politiker – als zu riskant, weil die Gelder ja auch in die Rüstungsindustrie hätten fließen können.
Als sich die grundlegenden politischen Umbrüche in Polen und Ungarn dann deutlicher abzuzeichnen begannen, hat er die Deutschlandpolitik Helmut Kohls, mit dem er befreundet war, aktiv unterstützt, etwa durch Verhandlungen mit der ungarischen und der polnischen Regierung. Er hat Helmut Kohl auch die Gelegenheit verschafft, 1987 auf der Bilderberg-Konferenz von Telfs-Buchen bei Bankern, Medienvertretern, Militärs und Politikern, nicht zuletzt westeuropäischen Regierungschefs für Vertrauen in seine Deutschlandpolitik zu werben, selbst wenn diese die Wiedervereinigung nicht mehr ausschloss. 
Herrhausen hat die deutsche Wiedervereinigung also mit ermöglicht und maßgeblich gefördert, auch wenn er den von Kohl eingeschlagenen Weg einer raschen Währungs- und Wirtschaftsunion der beiden deutschen Staaten für unklug und problematisch hielt.
 — © Jörg F. Klam
Jörg F. Klam
Historikerin und Herrhausen-Expertin Friederike Sattler.
Das Attentat vom 30. November 1989 bleibt bis heute ungeklärt. Gemeinhin wird die RAF damit in Verbindung gebracht. Was spricht für die linksextreme Terrorgruppe?
Es ist weniger das am Tatort in Bad Homburg gefundene Bekennerschreiben der RAF, als die Konstruktion des Bombengeschosses, das seine gepanzerte Limousine nach dem Durchfahren einer Lichtschranke hinten rechts durchschlug und ihn tödlich verletzte, die Hinweise auf die wahren Täter liefert. 
Nur wenige Tage vor der Ermordung Herrhausens wurde im Libanon der neugewählte Präsident René Moawad mit einer baugleichen Bombe getötet, die wohl von Mitgliedern der linksterroristischen Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) entwickelt wurde. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist deshalb davon auszugehen, dass das bis heute nicht aufgeklärte Herrhausen-Attentat von Mitgliedern der dritten Generation der RAF verübt wurde, die technisch-logistische Unterstützung durch die PFLP bekamen.
 
Manche Theorien machen die Stasi, US-Geheimdienste und sogar westdeutsche Behörden für das Attentat verantwortlich. Was ist Ihre Einschätzung dazu?
Die unmittelbare Beteiligung von Geheimdiensten oder die Mitverantwortung durch die unzureichende oder sabotierte Umsetzung von Sicherheitskonzepten durch die zuständigen Behörden ist meiner Meinung nach keineswegs auszuschließen. Doch als Historikerin kann ich dazu mangels überprüfbarer Quellen keine begründete Aussage treffen.
Wie, glauben Sie, hätte Herrhausen auf die Finanzkrise von 2008 reagiert? 
Hätte er noch gelebt, so wäre er 2008 bereits 78 Jahre alt gewesen, also lange aus den Diensten der Deutschen Bank heraus, vielleicht aber gelegentlich noch politisch beratend tätig. Den Kurs der Bundesregierung, durch Sicherheitszusagen für Bankeinlagen und Sparguthaben das Vertrauen der Bevölkerung in das deutsche Bankensystem zu erhalten, hätte er sicher begrüßt. Die schon zu seiner Zeit zu beobachtende Entwicklung in der Finanzbranche, nicht länger den Handel oder die Industrie zu finanzieren, sondern immer häufiger reine Finanzgeschäfte zu betreiben, hat er als einen starken marktgetriebenen Trend verstanden, den man nicht unterbinden, wohl aber durch klare Regeln einhegen konnte. 
 
Was können heutige Führungskräfte und Banker aus Herrhausens Ansatz zu Ethik, Verantwortung und sozialem Engagement lernen?
Ich denke, Herrhausen kann auch heute noch ein Vorbild dafür sein, dass man sich als Manager oder Führungskraft nicht allein auf sein Geschäft im engeren Sinne konzentrieren, sondern sich auch für die Belange des politischen Gemeinwesens interessieren und engagieren sollte, von dessen Lebendigkeit und Funktionieren auch Unternehmen abhängig sind. Eindrucksvoll ist außerdem Herrhausens große Beharrlichkeit und Ausdauer, wenn es darum ging, Probleme wie die Schuldenkrise möglichst nüchtern und sachlich zu analysieren und sich dann sehr konsequent – unabhängig von kurzfristigen geschäftlichen Opportunitäten – für eine Lösung einzusetzen.
 
Interview: Andreas Raffeiner
 
Information
Friederike Sattler hat über den Deutsche-Bank-Chef das Buch „Herrhausen: Banker, Querdenker, Global Player. Ein deutsches Leben“ geschrieben. Es ist bei Siedler erschienen (ISBN: 978-3-8275-0082-3) und kostet 42 Euro.
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