Gläubige Katholiken im Sozialismus

„Nichts mehr zu retten“

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Die Benediktinerinnen Ruth Lazar (links) und Elisabeth Neumann vor der Pforte der Abtei St. Gertrud im brandenburgischen Alexanderdorf.

Wie zwei Nonnen diese Zeit erlebten und was es in der DDR bedeutete, katholisch zu sein, hat unser Autor Rocco Thiede im brandenburgischen Kloster Alexanderdorf erfahren. Mit zwei Zeitzeuginnen, den Schwestern Elisabeth Neumann und Ruth Lazar, sprach er über ihr Leben in der DDR, die Wende und ihre damaligen Erwartungen an die deutsche Einheit.

Schwester Elisabeth ist ein Kriegskind. Sie hat noch die Not und Entbehrungen der Nachkriegszeit erleben müssen. Wie Ruth Lazar hat sie die politische Wende und die Friedliche Revolution im Kloster erlebt. „Vor dem Mauerfall ist unser Gästehaus sehr gerne von Familien aus dem katholisch-kirchlichen Umfeld genutzt worden“, erinnert sich Schwester Ruth. „Jetzt sind es mehr Individualgäste oder Gruppen, die gezielt Angebote bei uns suchen.“

Südlich von Berlin

Das Kloster liegt südlich von Berlin, eine gute Autostunde vom Stadtrand der Hauptstadt entfernt. Wo sich heute die Benediktinerinnen-Abtei St. Gertrud befindet, lag nicht schon immer ein Kloster. Einst war es ein typischer Brandenburger Gutshof mit Herrenhaus, Scheunen und Ställen. Heute beten und arbeiten hier 19 Schwestern im Alter zwischen Anfang 40 und 90 Jahren. 1984 wurde das Kloster zur Abtei. Fünf Jahre später fiel in Berlin die Mauer.

Brandenburg ist mit einem Katholikenanteil von weniger als drei Prozent eine klassische Diaspora-Region. Am Fortbestand des Klosters Alexanderdorf aber gab es trotz Krieg und zwei Diktaturen nie ernsthafte Zweifel. „Diese Zeiten sind – Gott sei Dank – vorbei“, sagt Schwester Ruth, die die Öffentlichkeitsarbeit der Abtei übernommen hat. „Dem Kloster ist in der Nazi- und in der DDR-Zeit nichts passiert. Wir sind behütet und bewahrt geblieben.“

Wie Schwester Elisabeth als junge Frau die Kirche in der DDR erlebte, schildert sie so: „Katholisches Leben war von viel Freude am Glauben, aber auch vom Spaß beim Miteinander geprägt. Sicher: Man musste in der Schule etwas vorsichtig sein, was man sagte, aber wir waren durch unseren Glauben gegen die herrschende Ideologie, die uns in der DDR auferlegt wurde, gut gewappnet.“

Schwester Elisabeth war viele Jahre für die Gästebetreuung im Kloster zuständig. Heute sitzt sie an der Pforte. Besucher können neben dem Stundengebet und dem Feiern der Heiligen Messe auch beim Arbeiten mithelfen. Das geht zum Beispiel in der Küche, bei der Reinigung des Gästebereichs oder im Garten. Immer nach dem jahrhundertealten benediktinischen Motto „Ora et Labora“ – Beten und Arbeiten.

Elisabeth Neumann wuchs in Trusetal im Thüringer Wald auf. Ihr Vater kehrte nie aus dem Krieg zurück. Ihre katholische Mutter lernte später einen atheistischen Lehrer kennen und entfernte sich vom Glauben. Dennoch durfte Elisabeth in der katholischen Gemeinde, die nur aus Flüchtlingen bestand, ihre Erstkommunion feiern. Trotz des antireligiösen Elternhauses verlor sie ihre Glaubensgewissheiten nie.

Es war vor allem der Wunsch ihrer Mutter, dass sie einmal Lehrerin werden soll. Erst wurde sie abgelehnt, konnte dann aber doch am Lehrerinstitut in Meinigen anfangen. „Meine Mutter hat für mich gekämpft“, erinnert sie sich. „Sie ist als junge Frau schon in die SED eingetreten: sie, die treue Genossin, während ich, aus ihrer Sicht, eine undankbare Tochter war, die stur an der Kirche festhielt.“

Anzeige wegen kirchlicher Kurse

Das war Anfang der 1960er Jahre, als sich die politischen Verhältnisse verschärften. Am 13. August 1961 ließ die DDR-Führung West-Berlin abriegeln. Als im September das neue Studienjahr begann, zeigte eine Mitstudentin Elisabeth an, weil sie in den Semesterferien kirchliche Kurse besucht hatte. Sie wurde exmatrikuliert. „Zur Bewährung wurde ich in einen sozialistischen Produktionsbetrieb geschickt, wo ich im Akkord Bleche für Mistgabeln stanzen musste.“

In einem katholischen Krankenhaus in Erfurt machte Elisabeth Neumann nun eine Ausbildung zur Krankenschwester. Zwischenzeitlich war sie als Jugendreferentin bei der Kirche und dann zwölf Jahre in der Medizinischen Akademie in Erfurt tätig. „Wir waren in der Kardiologie eine sehr christliche Station. Der Stationsarzt war katholisch, und ich hatte dort mehrere katholische Mitschwestern. Dennoch waren wir ein sozialistisches Kollektiv mit Brigadetagebuch“, sagt sie und lacht.

Über den Kontakt zu Vinzentinerinnen aus Fulda, die im Krankenhaus arbeiteten, entstand auch bei Elisabeth Neumann der Wunsch, Nonne zu werden. „Die Sehnsucht wuchs immer mehr. Aber ich merkte, dass der Beruf als Ordensfrau in einem tätigen Orden für mich etwas schwierig gewesen wäre. Ich wollte ganz frei sein für das Gebet und ganz für Gott da sein.“ Durch den Tipp eines Jugendkaplans stieß sie auf die Benediktinerinnen. Mit 36 Jahren trat sie ins Kloster ein.

Ganz anders verlief der Weg der Berlinerin Ruth Lazar, die rund eine Generation jünger ist als Elisabeth Neumann. Aufgewachsen in einer katholischen Familie habe sie „eine normale DDR-Kindheit und Jugendzeit gehabt und eine sehr lebendige christliche Gemeinde und Pfarrjugend erlebt“, sagt sie. Ihr Vater war Mitglied der CDU und Abgeordneter der Berliner Stadtverordnetenversammlung. „Wir hatten gewisse Freiheiten“, sagt sie.

 — © Foto: Imago/Ulli Winkler
Foto: Imago/Ulli Winkler
Die Politik der DDR gegenüber den Kirchen schwankte zwischen schroffer Ablehnung und friedlicher Koexistenz. Das Foto zeigt Staatschef Erich Honecker beim Besuch im Vatikan 1985 mit Papst Johannes Paul II.

Die Kirche bot Schutz

Ihr Vater habe den vier Töchtern den Rücken gestärkt, „wenn wir in der Polytechnischen Oberschule mal angezählt wurden, weil wir in der Kirche sind und manches nicht mitmachten“. Die Kirche bot Ruth Lazar Heimat und Schutz. Nur auffallen und provozieren durften sie nicht – das wurde ihnen von staatlichen Stellen unmissverständlich klar gemacht. So war es für die junge Ruth auch kein Problem, bei den Jungen Pionieren einzutreten.

Beeinflusst haben sie als 13-Jährige 1973 die Weltfestspiele in Ost-Berlin: „Ich war für ein gutes Jahr ziemlich beeindruckt von der FDJ – der Staatsjugend –, dem Sozialismus und dem Freiheitskampf der Kommunisten in anderen Ländern.“ Erst durch die Firmung fand sie zur katholischen Gemeinde zurück. Nach der Schule machte Lazar eine Ausbildung zur Erzieherin und arbeitete vier Jahre in einer katholischen Kita als Kindergärtnerin. Für sie war damit „diese Indoktrination in der Bildung beendet“.

Den 9. November 1989, den Tag, an dem die Mauer fiel, erlebten beide Nonnen im Kloster. Einen Fernseher gab es dort nicht. „Einige Schwestern durften Radio hören“, erinnert sich Ruth Lazar, „natürlich nicht die DDR-Nachrichten.“ So erfuhren sie von der weltgeschichtlichen Neuigkeit. „Ein Wunder“ nennt sie den Mauerfall. Die Geistlichen, die gerade in Alexanderdorf zu Exerzitien weilten, sangen bei ihrer Abschlussmesse aus vollem Hals: „Großer Gott, wir loben dich.“

„Die Menschen waren immer weniger bereit, sich in dieses System zu fügen“, erinnert sich Schwester Ruth an die späten 1980er Jahre, die in der DDR von einer ausgeprägten Reformunwilligkeit der Staats- und Partei-Oberen geprägt waren. „Eine große Rolle spielte die Reisefreiheit.“ Immer mehr Menschen stellten Ausreiseanträge oder versuchten, über Botschaften der Nachbarländer nach Westdeutschland zu gelangen.

Dann kamen das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking und die großen Montags-Demonstrationen in Leipzig. Auch in und um das Kloster der Benediktinerinnen artikulierte sich Protest: „Wir haben viele christliche, katholische Nachbarn hier in unserem kleinen Dorf, die haben sich jeden Abend bei uns in der Klosterkirche versammelt und Rosenkranz gebetet, dass alles friedlich bleibt.“

Als Elisabeth Neumann im Februar 1990 vor dem Brandenburger Tor stand, kam sie nicht auf die Idee, hindurch zu gehen. „Für mich war das noch eine unsichtbare Grenze“, sagt sie. „Irgendwie war da noch eine Sperre in mir.“ Das erste Mal im „Westen drüben“ war sie ein Jahr später, als sie im Tochterkloster Dinklage in Niedersachsen für ein Vierteljahr aushelfen sollte. Sie fühlte sich dabei als „Exotin“ – denn für ihre westdeutschen Mitschwestern war „die DDR weiter weg als China“.

Anders als viele andere Bürger der DDR hat sie ihre Stasi-Unterlagen nie angefordert. „Irgendwie habe ich ein mulmiges Gefühl und Angst, dass sie mich abgeschöpft haben, weil ich oft sehr spontan geredet habe“, sagt Schwester Elisabeth. „In einem Kollektiv, wo man in der DDR gearbeitet hat, war immer ein IM mit dabei.“ Ein Spitzel der Stasi also.

Auch befürchtet Elisabeth Neumann, dass sie von geschätzten Bekannten beschattet worden sein könnte. „Ich möchte es lieber nicht wissen“, sagt sie nachdenklich. Und erinnert sich dann: „Hier gab es mal eine Postulantin, bei der wir einen komischen Eindruck hatten. Die Äbtissin habe sie offen gefragt, ob sie nicht IM ist.“ Am nächsten Tag sei sie aus dem Kloster verschwunden gewesen.

Auch Schwester Ruth hat die Unterlagen, die das Ministerium für Staatssicherheit womöglich über die Benediktinerin anlegte, bis heute nicht eingesehen. „Eigentlich wusste man, dass immer irgendwer horcht und guckt“, fasst sie das Wissen um die Bespitzelung zusammen. „Uns war klar, dass die Stasi neben kirchlichen Einrichtungen immer jemanden platzierte, der aufpasste.“

„Ehrlich nicht begeistert“

Nach dem Mauerfall war die Entwicklung, die am 3. Oktober 1990 zur deutschen Einheit führte, bald nicht mehr aufzuhalten. Schwester Elisabeth bekennt offen: „Ich war ehrlich nicht begeistert, dass wir wiedervereinigt wurden. Ich habe damals mehr diese Bürgerrechtsbewegungen innerlich unterstützt, die einen sozialistischen Staat mit humanistischem Gesicht propagierten.“ Heute wisse sie, dass das un­realistisch war. „Die DDR war kaputt. Da war nichts mehr zu retten.“

Schwester Ruth dagegen hat das Ende der DDR schon damals begrüßt: „Für mich war dieser Weg, der dann in einer rasanten Schnelligkeit zur Wiedervereinigung geführt hat, sehr folgerichtig, und ich war damit voll einverstanden. Ich weiß noch, dass ich am 3. Oktober ein sehr, sehr starkes Gefühl hatte: Jetzt ist der Krieg vorbei.“

Rocco Thiede

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Das Kloster in Alexanderdorf liegt rund eine Autostunde südlich von Berlin.
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