Kommentar zum Start der EM:
Ein neues Sommermärchen?

Philosoph Peter Sloterdijk ist pessimistisch: „Märchen dieser Art kann man nicht à la carte bestellen“, sagte er in einem Interview auf die Frage, ob er hinsichtlich der am 14. Juni beginnenden Fußball-Europameisterschaft in Deutschland an ein neues „Sommermärchen“ glaube. In Anlehnung an Heinrich Heines „Deutschland. Ein Wintermärchen“ (ebenfalls pessimistisch geprägt) war dies die Bezeichnung für die Begeisterung um die Nationalmannschaft, als 2006 die Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland ausgetragen wurde. Das Team um Bundestrainer Jogi Löw wurde Dritter und bei einer Feier vor dem Brandenburger Tor von den Fans quasi zum „Weltmeister der Herzen“ gekürt.
Soweit wird es mit der Euphorie laut Sloter-dijk diesmal nicht kommen. Die identitätsstiftende Wirkung der Nationalmannschaft von damals gebe es in dieser Form inzwischen nicht mehr, „obgleich der Bundestrainer sich außerprotokollarisch auf einer Stufe mit dem Bundespräsidenten befindet“, wie Sloterdijk augenzwinkernd bemerkt.
Tatsächlich scheint Deutschland mittlerweile ein Identitätsproblem zu haben. Einer Umfrage zufolge will ein Viertel der Bevölkerung keine deutschen Flaggen im Stadtbild sehen. Unter den 18- bis 24-Jährigen ist es sogar mehr als die Hälfte. Auch manche Nationalspieler liefen in vergangenen Turnieren lieber mit den Farben des Regenbogens auf als mit Schwarz-Rot-Gold. Wer sagt, er sei stolz auf sein Land oder seine deutsche Nationalität, gilt schnell als „rechts“. Angesichts der permanenten Idealisierung einer möglichst großen Diversität scheint eine gemeinsame (und einende!) Identität verloren gegangen zu sein.
Es braucht sicher mehr als ein paar Wochen Fußball-EM, um sie wiederzufinden. Aber vielleicht kann der Sportwettbewerb zumindest ein wenig von der Magie von 2006 zurückbringen und zeigen: Es geht auch anders. Gemeinsam auf Augenhöhe feiern, einfach mal stolz auf die (hoffentlich guten) Leistungen „unserer“ Mannschaft und Deutschlands Rolle als Gastgeber eines Weltereignisses sein – was ist daran schlecht?

Die EM bewegt Deutschland. Zum ersten Mal seit der WM 2006 findet ein Fußball-Großereignis in der Bundesrepublik statt. Manche träumen von einem neuen „Sommermärchen“, andere geben sich unbeeindruckt. Schauen Sie sich die Spiele an oder lässt Sie das Ganze kalt?
- Ja natürlich! So ein Ereignis kommt so schnell nicht wieder.87 %
- Nein, Fußball interessiert mich nicht besonders.8 %
- Ich schaue nur die Spiele der eigenen Mannschaft an.5 %