Predigt von Bischof Bertram Meier zu Fronleichnam 2024 im Augsburger Dom
Fronleichnam: ein Fest der Demonstration und Provokation

Fronleichnam ist etwas Besonderes. Wir machen die Portale unserer Kirchen auf und gehen nach draußen. Was wir das ganze Jahr hindurch im heiligen Bezirk unserer Gotteshäuser feiern, tragen wir heute hinaus in die Öffentlichkeit. Das – besser: der Allerheiligste wird heute auf Straßen und Plätzen jedermann gezeigt, denen, die aktiv bei der Prozession mitgehen, aber auch allen, die zuschauen, die im Kaffeehaus sitzen, die Zaungäste sind. Das heutige Fest ist in der Tat eine Demonstration. Was meine ich damit?
Fronleichnam ist eine Demonstration ganz anderer Art, als wir sie sonst gewohnt sind. Bei den üblich gewordenen Demonstrationen – Augsburg hat heuer schon einen Rekord aufgestellt! – zeigt man sich auf der Straße, um etwas zu fordern. Wir tun etwas anderes. Unsere Demonstration setzt nicht auf geballte Fäuste, sondern auf gefaltete Hände. Wenn wir heute auf die Straße gehen, wollen wir uns nicht selbst präsentieren, sondern wir zeigen den Herrn, den Allerheiligsten.
Die Kunst hat sogar eine eigene Vorrichtung für diese besondere Art von Demonstration geschaffen: Wir haben die Monstranz, um Jesus herzuzeigen. Demonstrieren heißt ja: vorzeigen. Wir demonstrieren Jesus der Welt, ihn zeigen wir vor. Und dabei fordern wir nichts für uns. Im Gegenteil: Wir machen der Welt ein Angebot, das ihr sonst niemand bieten kann. Das Angebot Gottes lautet: „Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot ist, wir leben in Ewigkeit.“ (Joh 6,51) Das heißt: Wir machen der Welt das Angebot für ein Leben, das die Grenzen von Zeit und Raum übersteigt. Wir werden es merken, wenn wir durch die Stadt ziehen: Viele Läden sind leer, haben dauerhaft geschlossen, Geschäfte haben dichtgemacht. Doch unser Angebot, das wir bieten können, steht: Jesus Christus, das Brot des ewigen Lebens. Die Waren in unseren Geschäften werden alt, die Kleider kommen aus der Mode, das Brot für den Magen wird altbacken, doch Jesus Christus bleibt. Er unterliegt keiner Mode, er ist derselbe: gestern, heute und in Ewigkeit. Deshalb zeigen wir die Hostie als Brot für die Welt, als Angebot für unsere Stadt.
Bei diesen Gedanken stellt sich eine weitere Frage: Ist eine Fronleichnamsprozession nicht auch eine Provokation? Solche Stimmen kommen immer wieder auf – besonders von denen, die uns den guten Rat geben wollen: Bleibt doch in Euren eigenen vier Wänden! Da seid ihr sicher. Bleibt in der Kirche, wie auch Jesus im Abendmahlssaal geblieben ist! Da muss ich einhaken: Jesus hat sich nicht eingeschlossen, er ist hinausgegangen. Jesus hat sich gezeigt im öffentlichen Leben. Und genau das tun wir heute. Wir Christen zeigen uns, um öffentlich Jesus Christus zu präsentieren. So gesehen ist die Fronleichnamsprozession eine echte Provokation. „Provocare“ heißt: hervorrufen, herausrufen.
Wenn wir nachher auf die Straße gehen, wollen wir die Menschen provozieren, sie herauslocken aus ihrer Reserve, aus ihrer Gleichgültigkeit und Unwissenheit; ja, vielleicht erwächst daraus sogar eine neue Nachdenklichkeit darüber, was wir denn da tun als katholische Christinnen und Christen. Ich träume davon, dass unsere provokative Prozession sogar zu einer Einladung werden kann, mit uns zu gehen, was bedeutet: sich der Weggemeinschaft mit Jesus anzuschließen. Es gibt viele Wege, aber die Frage ist, wo sie enden. Der Weg, der ans Ziel führt, ins Glück, ins ewige Leben, ist Jesus selbst, der von sich sagt: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.“ (Joh 14,6)
Die Irrwege, die unser Volk vor knapp hundert Jahren gegangen ist, dürfen sich nicht wiederholen. Wir wollen solche Wege nicht gehen. Sie schaden unserer Stadt, sie schaden unserem Land, sie schaden Europa. Gehen Sie am 9. Juni wählen und erteilen Sie Gruppierungen eine Absage, die menschenverachtende, demokratiefeindliche und völkisch-nationalistische Ideen fördern wollen. Gerade aus unserer Geschichte können wir lernen, wie ein Volk, das einem Menschen Heil zurief und damit sich selbst und die Welt ins Unheil brüllte.
Wir Christen haben heute die Aufgabe zu demonstrieren, um der Welt Jesus Christus zu zeigen. Wir haben zu provozieren: Wir sollen die Menschen herauslocken aus ihrer Reserve und herausrufen aus ihrer Gleichgültigkeit. Was Papst Johannes Paul II. bei seinem ersten Besuch in seiner polnischen Heimat 1979 in Warschau sagte, das lege ich heute uns allen ans Herz: „Jesus Christus darf nirgendwo auf der Welt ausgeklammert werden, auf keinem Breitengrad und keinem Längengrad.“ Wir dürfen Christus nicht ausklammern. Binden wir ihn ein in unser Leben! Binden wir ihn ein in unsere Stadt! Binden wir ihn ein in unser Land und unseren Kontinent!