Kommentar:
Bahncard nur noch per App: Auf dem digitalen Abstellgleis

Die BahnCard wird es ab dem 9. Juni nur noch in der App "DB-Navigator" geben. Wer kein Smartphone hat, kann zum Beispiel einen Ausdruck mit QR-Code bekommen. Die Deutsche Bahn verschlechtert so ihren Service weiter, meint Chefredakteur Johannes Müller im Kommentar. Vor allem Senioren ohne Internet werden von der Bahn aufs Abstellgleis gesetzt.
Erinnern Sie sich noch, wie man früher mit der Bahn reiste – als diese eine Staatsleistung war, die Deutschland verband, und keine halbprivate Zumutung? Da gab es Lokführer und Schaffner mit dicken Kursbüchern in jedem Bahnhof, auch der Kleinstädte, und dazu eine gemütliche Fahrkarte aus Pappe, mit der man überall hinkam. Das war einmal.
Im Jahr 2024 ist aus der Bahn ein Handy-Präsentier-Betrieb im Sparmodus geworden, der als neuesten Clou auf totale Digitalisierung setzt. Selbst die Bahncard, einst das Aushängeschild für Stammkunden und damit besonders umweltfreundliche Menschen, wird es von diesem Sonntag an nur noch digital geben. Die handliche, akkufreie Plastikkarte gilt bis zum Ende des aufgedruckten Datums, dann wird sie entsorgt.
Und was tun die, die nicht im Internet sind? Keinen Computer, keinen Drucker, kein Smartphone haben? In Deutschland sind das drei Millionen Menschen, zwei Drittel der rüstigen Senioren über 80. Sie werden von der Bahn aufs Abstellgleis gesetzt, weswegen Wohlfahrts- und Seniorenverbände Sturm laufen. Wie es so üblich ist, bekommt die Unverschämtheit einen erhabenen Tarnmantel – den Verzicht auf Plastik. Und wann kehrt die Einrichtung der Waggons zur nachhaltigen Holzklasse des 19. Jahrhunderts zurück?
In Wahrheit geht es wohl um das, worum es bei der Zwangsdigitalisierung in vielen Bereichen geht: um den Verzicht auf Beschäftigte, um die Streichung der „uneffektiven“ Serviceleistung, um bessere Analyse- und aufdringliche Werbemöglichkeiten. Alles auf Kosten des Kunden. Und dass dieser einmal „König“ war, auch und gerade der ältere Kunde? Papperlapapp! Die Monarchie ist abgeschafft.
So kann man nur hoffen, dass die Proteste gegen Bahnchef Richard Lutz und Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) fruchten. Andernfalls bleibt der Umstieg auf Privatautos und Busse, frei nach dem Motto: Stell Dir vor, es gibt Bahn, und keiner fährt mit. Einmal mehr zeigt sich, dass die vielbeschworene Verkehrswende vor allem eines ist: ein Hirngespinst – voll digital, null real.