In Gouda ist nicht alles Käse

Niederländische Stadt lädt zum traditionellen adventlichen Lichterfest

 — © Foto: Traub
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Das Käsemuseum im historischen Gebäude der alten Waage: Hier erfährt man auch auf Deutsch, dass der Goudaer Käse einst ein wichtiges Handelsgut war.

Man stelle sich vor, die Lichter in der Stadt gingen aus. Ganz schön düster, denkt man. Da bliebe man wohl lieber zu Hause. Es soll jetzt nicht von einer Energiekrise die Rede sein, denn es bleibt gar nicht dunkel. Wie auf Knopfdruck erlischt zunächst das elektrische Licht in der Stadt. Doch kurz danach strahlt sie im gelblichen Schein unzähliger Kerzen. Romantisch, vor allem wenn die Kulisse stimmt: Das historische Zentrum der holländischen Stadt Gouda liefert das passende Bühnenbild.

In majestätischer Insellage zeigt sich das Rathaus aus dem 15. Jahrhundert auf dem Markt. Alle den Platz säumenden, meist historischen Gebäude sind in gebührendem Abstand errichtet worden. Das Rathaus sollte so vor Feuer geschützt werden. In der Weihnachtszeit wetteifert eine opulent geschmückte Tanne, ein Geschenk der norwegischen Partnerstadt Kongsberg, mit der Prunkfassade des historischen Gebäudes um das imposantere Fotomotiv.

Am vorletzten Freitagabend vor Weihnachten wird vor dem Rathaus die Veranstaltung „Gouda bij Kaarslicht“ (Gouda bei Kerzenlicht) eröffnet, die schon seit Jahrzehnten die Menschen erfreut. Nach einer
feierlichen Zeremonie mit viel Musik und Gesang gibt der Bürgermeister von der Freitreppe aus ein Zeichen. Der Marktplatz wird um Punkt 19 Uhr erst dunkel, dann plötzlich kerzenhell.

In allen Fenstern des Rathauses, in den Häusern, den Auslagen der Geschäfte und sogar in den Straßen-
laternen – überall leuchtende Kerzen. An den Straßenrändern stehen große rote Windlichter. Nicht zu vergessen die Lichter am riesigen Weihnachtsbaum. Da wird der Bummel durch die Altstadt zu einer besonders stimmungsvollen Zeitreise.

Kerzen und Gouda? Eigentlich verbindet man doch den Käse mit dem Namen der Stadt. Evalien de Haan ist Gästeführerin und klärt auf: „Mitte des 19. Jahrhunderts wurde in Gouda eine Stearinkerzenfabrik gegründet und eine wirtschaftliche Erfolgsgeschichte begann.“ Zum 100. Firmenjubiläum 1958 schenkte die Fabrik der Stadt 2000 dieser besonders langanhaltend brennenden Kerzen. Die Fenster des Rathauses sollten damit illuminiert werden. „Das war zur Unterstützung des damals noch neuen Kerzenfestes gedacht. In den Jahren danach folgten immer mehr Bewohner diesem Beispiel“, berichtet de Haan.

Stadt des Handwerks

Wer auf seinem Weg vom Markt zur St.-Jans-Kirche in die Schaufenster blickt, wird auch das Geschäft eines Kerzenziehers entdecken. „Gouda war jahrhundertelang eine Stadt des Handwerks“, bemerkt die Gästeführerin, „und einige kleine Manufakturen halten diese Tradi­tion noch aufrecht.“ Auf der anderen Straßenseite verkauft ein Tabak-
pfeifenproduzent seine tönerne Ware. „Auch das war mal ein bedeutendes Handwerk bei uns – mit über 7000 Arbeitsplätzen in der Mitte des 18. Jahrhunderts.“ Ateliers, in denen mit Ton gearbeitet wird, gebe es noch einige, informiert die Expertin.

Die St.-Jans-Kirche ist mit 123 Metern das längste Gotteshaus in den Niederlanden. Sie öffnet ihre Pforten für einen Winterbasar. Dafür wird in dem fünfschiffigen Inneren einiges geboten: von der Handwerkskunst bis zur Weinprobe, unterbrochen von musikalischen Darbietungen, auch an der großen Orgel. Eine künstlerische Licht­inszenierung setzt die 72 Buntglasfenster, die größtenteils aus dem 16. Jahrhundert stammen, in Szene. Sie zeigen biblische Geschichten und Szenen aus der Geschichte des Landes. Dass sie den Bildersturm der Protestanten überlebt haben, ist der schützenden Hand der damaligen Stadtväter zu verdanken.

Mit der exponierten Lage des Rathauses kann die Kirche nicht konkurrieren. Trotz ihrer Größe ist sie in das Gassengeflecht der Altstadt eingebettet. Hier herrscht reges Treiben in der Kerzennacht. Gleich im Schatten der hohen
Kirchenmauern liegt das Gouda-
Museum, das in einem historischen Gäste- und Krankenhaus seine Schätze zeigt. Im Innenhof wird musiziert und gesungen – keine Seltenheit in der Kerzennacht. Stets begleitet romantisches Licht die Musik.

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Gouda ist mit seinen Grachten und holländischer Architektur auch bei Tageslicht sehenswert. Vor dem Rathaus steht traditionell der Christbaum.

Stadt der Chöre

„Gouda ist auch eine Stadt der Chöre“, klärt Stadtführerin de Haan auf. „Im Protestantismus gab es keine Kirchenchöre, deshalb hat sich das Bedürfnis der Menschen zu singen in vielen privaten Gesangsgemeinschaften niedergeschlagen.“ Das sei bis heute so geblieben. „Singen ist die eigentliche Weihnachtstradition bei uns.“ Der Spaziergang durch die Stadt bestätigt das: überall singende und musizierende Menschen, in den Kirchen und den Museen, aber auch auf den Straßen.

Ihr Repertoire reicht von Volksmusik bis Jazz und Klassik. Manche sind in Tracht unterwegs, andere mit Blasinstrumenten, die entfernt an Alphörner erinnern. In einer Kapelle drängt man sich um eine Harfenistin, während einige Meter weiter ein Saxophon-Quartett einen kleinen Platz bespielt. An den historischen Fischverkaufsbänken werden derweil mit Unterstützung des Publikums Seemannslieder geschmettert. 

Vor allem die Gotteshäuser sind als Spielstätten gefragt – auch für Kunstpräsentationen, die nicht selten mit Licht arbeiten. Eine Route führt zu aktuellen Licht-Kunstwerken. Auf mindestens einem dieser touristischen Wege wird man vor einer Sirupwaffelfabrik stehen. „Auch das ist traditionelles Handwerk“, informiert de Haan. „Die Kamphuisen-­Manufaktur produziert die Süßigkeiten schon seit über 200 Jahren.“ In früherer Zeit dienten die kostengünstig herzustellenden Waffeln wegen ihres hohen Zuckeranteils als einfache Möglichkeit, arme Menschen zu sättigen.

Und der Käse? Der ist im Stadtbild kaum zu übersehen, obwohl er fast zu 100 Prozent in Fabriken hergestellt wird. In mehreren Käse-
Läden wird er nicht wie ein Lebensmittel, sondern wie ein Souvenir feilgeboten. Dann lieber im historischen Gebäude der alten Waage am Marktplatz vorbeischauen, wo früher nicht nur der Gouda gewogen wurde.

Spur des Käses

Ein kleines Museum folgt der Spur des Käses durch die Geschichte der Stadt. Der Besuch zeigt, dass es in Gouda auch nach der Kerzennacht noch etwas zu erleben gibt. Und sehenswert ist die Stadt mit ihren Grachten, Brückchen und den vielen kleinen Geschäften auch an jedem anderen Tag.

Ulrich Traub

Information

„Gouda bij Kaarslicht“ findet in diesem Jahr am 13. Dezember statt. Im Internet: www.willkommeningouda.com.

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Im Schein der Kerzen: Blick auf den Marktplatz mit dem Rathaus, wo gerade die Kerzennacht eröffnet wurde.
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