Auschwitz vor 80 Jahren befreit

Maximilian Kolbe: Erinnerung an ein Selbstopfer

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Düstere Bilder im Zentrum des heiligen Maximilian lassen die KZ-Greuel anschaulich werden.

Ein moderner Bau hält die Erinnerung an einen Märtyrer der Menschlichkeit hoch: das Zentrum des heiligen Maximilian in Harmęże am rechten Weichselufer, einige Fahrminuten von der polnischen Stadt Oświęcim entfernt. Nach Wadowice, der Geburtsstadt von Johannes Paul II., sind es knapp 40 Kilometer, zum Marienwallfahrtsort Kalwaria Zebrzydowska rund 50 Kilometer.

Nur sechs Kilometer ist das ehemalige deutsche Konzentrations­lager Auschwitz entfernt, in dem Pater Maximilian Kolbe 1941 seinen Gang in die Todeszelle antrat: Er opferte sich für einen polnischen Familienvater. Dieses Jahr gedenkt das Museum Auschwitz-Birkenau der Befreiung des Konzentrationslagers durch sowjetische Truppen am 27. Januar 1945, vor 80 Jahren.

Eine düstere Welt

Während sich der Backsteinbau der „Kirche der Unbefleckten Muttergottes“ in den ostoberschlesischen Himmel reckt, befindet sich unterhalb des Hauptportals  der Eingang in eine düstere Welt. Sie ist angefüllt mit Bildern aus den Erinnerungen des ehemaligen KZ-Häftlings Marian Kołodziej – eine bedrückende Ausstellung zum Lagerleben in ­Auschwitz. Sie und die Erinnerung an Pater Maximilian Kolbe haben eines gemeinsam: das Schicksal von Nazi-Opfern.

Entscheidend für den Lebensweg des Paters und des späteren Künstlers ist der 1. September 1939. Das war der Tag, an dem Hitlers Wehrmacht in Polen einmarschierte und damit der Zweite Weltkrieg begann. Die Kämpfe mit der polnischen Armee dauerten nur ein paar Wochen, dann kapitulierte Polen. Was folgte, war ein Verfolgungs- und Vertreibungsprogramm, das der nationalsozialistische Rassenwahn hervorgebracht hatte.

Polens Juden wurden in innerstädtischen Ghettos zusammengepfercht, Polen als Staat von der Landkarte getilgt. Den östlichen Teil verleibte sich die Sowjetunion ein, das dazwischenliegende Gebiet wurde von Hitler zum „Generalgouvernement“ deklariert. Polen galten von nun an als minderwertig und wurden aus den schlesischen Gebieten vertrieben, um dort Deutsche anzusiedeln.

Im Juni 1940 wurde in einer ehemaligen Kaserne in Oświęcim, das jetzt wieder Auschwitz hieß, von der SS ein Konzentrationslager in Betrieb genommen. Gedacht war es zunächst, um Häftlinge aus den völlig überfüllten Gefängnissen unterzubringen, die dort nach dem Sieg der Wehrmacht von Gestapo, Polizei und SS eingeliefert worden waren: Ärzte, Lehrer, Professoren, Mitglieder des polnischen Widerstands.

Marian Kołodziej war einer von ihnen. Als der Krieg ausbrach, war er 18 Jahre alt. Als junger Pfadfinder schloss er sich der ­Untergrundarmee an, um für ein freies Polen zu kämpfen. Am 14. Mai 1940 wurde er von der Gestapo in Krakau festgenommen und dort im Montelupich-­Gefängnis inhaftiert, bevor man ihn nach Tarnow verlegte. Am 14. Juni 1940 kam er mit dem ersten Häftlingstransport nach Auschwitz und erhielt dort die Häftlingsnummer 432.

Zu dieser Zeit hat der 46-jährige deutschstämmige Pole Maximilian Kolbe bereits einen langen Weg hinter sich. Geboren 1894 in der polnischen Provinz Łódź, entscheidet er sich 16 Jahre später, sein Leben als Ordensmann zu verbringen. Nach einem Studium der Philosophie in Rom und seiner Rückkehr nach Polen gründet er 1917 die marianische Vereinigung  „Miliz der Unbefleckten“ (Militia Immaculatae).

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Pater Maximilian Kolbe auf einer Aufnahme des Jahres 1939.
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Im Hungerbunker des Hauptlagers (hier eine Gedenkveranstaltung) starb Maximilian Kolbe am 14. August 1941.

„Stadt der Unbefleckten“

1922 ruft er eine Zeitschrift zur religiösen Bildung ins Leben: die „Ritter der Unbefleckten“. Die Auflage steigert sich nach und nach, bis sie 1937 eine Million Exemplare erreicht. 1927 gründet Kolbe das Kloster Niepokalanów („Stadt der Unbefleckten“) bei Warschau. Dort leben bis zu 800 Brüder zusammen. Zwischendurch hat der Pater immer wieder mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen, erkrankt etwa an Tuberkulose.

1930 unternimmt er eine Reise nach Japan. Bei Nagasaki errichtet er ein Kloster und begründet mittels mehrerer Verlage die katholische Medienarbeit des Landes. Die japanische Ausgabe des „Ritter der Unbefleckten“ mit dem Titel „Mugenzai no seibo no kishi“ entwickelt sich später zum größten katholischen Presseorgan in Japan. 1936 kehrt Pater Maximilian aus dem Land der aufgehenden Sonne zurück.

Er baut sein Mis­sionszentrum in Niepokalanów weiter aus. 1938 geht dort sogar ein eigener Radiosender auf Sendung. Am 19. September 1939 erreichen deutsche Soldaten Niepokalanów, verwüsten das Kloster und verhaften die anwesenden Brüder, darunter Pater Maximilian. Nach der Haft in verschiedenen Arbeitslagern kann er am 8. Dezember nach Niepokalanów zurückkehren.

Die Freiheit währt nicht lange. Zweieinhalb Monate später nimmt die Gestapo den Pater erneut fest. Er wird nach Warschau gebracht und kommt am 28. Mai 1941 nach Auschwitz: Dort wird er als Häftling 16670 zusammen mit anderen Priestern in Block 17 untergebracht. Er muss Zwangsarbeit leisten. Die schweren Strapazen beim Bäumefällen und -schleppen schaden seiner Gesundheit. Schließlich wird er in den Krankenblock verlegt.

Marian Kołodziej war in Auschwitz in verschiedenen Arbeits-Kommandos beschäftigt: im Abbruchkommando, in der Kiesgrube, im Straßenkommando. Aus einem der Arbeitskommandos wurde er erkrankt ins Außenlager Blechhammer versetzt, wo er heimlich Pläne der Waffenfabrik für die Widerstandsbewegung kopierte. Dafür wurde er zum Tode verurteilt, wieder ins Lager Auschwitz gebracht und in eine Zelle des Blocks 11 eingesperrt.

Zum Sterben ausgewählt

Dieser Block 11 des Stammlagers Auschwitz war das lagerinterne Gefängnis. In seinen Kellerräumen sollte das Leben von Pater Maximi­lian enden. Als ein Häftling aus seiner Baracke aus dem Lager flieht, wählt die SS als Vergeltung und Abschreckung willkürlich zehn Häftlinge aus. Sie sollen in den Kellerbunker des Gefängnisses gesperrt werden, bis sie verhungert sind. Einer davon ist ein Familienvater, der verzweifelt um Gnade bittet.

Pater Maximilian erklärt sich beim Appell vor dem Lagerführer bereit, für den Mann in den Tod zu gehen. So wird er mit neun anderen Männern in den Hungerbunker geführt. Aus der Zelle ertönen 14 Tage lang Gebete und Lieder. Schließlich werden Pater Maximilian und drei weitere Gefangene, die noch nicht verhungert waren, von der SS durch eine Giftspritze getötet. Anschließend verbrennt man die Leichen im Krematorium.

Marian Kołodziej überlebte ­Au­schwitz. Er wurde im Rahmen der Evakuierung vor dem Heranrücken der Roten Armee in andere Lager verbracht, bis er in Mauthausen am 6. Mai 1945 von der 3. US-Armee unter General George Patton befreit wurde. Nach der Rückkehr nach Polen begann er ein Studium an der Kunstakademie in Krakau, arbeitete danach 40 Jahre an einem Theater in Danzig. 1992 erlitt er einen Schlaganfall und war halbseitig gelähmt.

Nach fast 50 Jahren des Schweigens griff Kołodziej auf die dramatischen Erinnerungen aus seiner Jugend zurück, auf die Zeit, die er in Konzentrationslagern verbrachte, und schuf den Zyklus „Klischees der Erinnerung. Labyrinthe“. Seit ­Januar 1998 ist der Gemäldezyklus im Kellergewölbe der Kirche der Unbefleckten Mutter Gottes ausgestellt. „Klisze pamięci. Labirynty“ heißt das Werk auf Polnisch.

Auch Porträts von Maximilian Kolbe sind unter den vielen düsteren Schwarz-Weiß-Zeichnungen geschundener Menschen zu sehen. Der Pater, der selbstlos in den Tod ging, wurde 1971 seliggesprochen. Bei der Heiligsprechung 1982 in Rom war auch Franz Gajowniczek anwesend – jener Familienvater, für den Kolbe sich geopfert hatte. Gajowniczek überlebte Auschwitz und starb 1995.

Rudolf Stumberger

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