Von historischen Schaltregeln und römischen Eingriffen in den Jahreslauf
Kalenderreformen und Brauchtum: Wenn Neujahr nicht im Januar ist

Ein Kalender teilt die Zeit in Tage, Monate und Jahre. Er ist meist am Sonnenlauf oder Mondstand orientiert. Zwölf Monate weist das Jahr heute auf, das für gewöhnlich aus 365 Tagen besteht. Jahresschluss ist der 31. Dezember, das neue Jahr beginnt am 1. Januar. Das aber war nicht immer so. Im Brauchtum haben sich teils andere Jahreswechsel gehalten.
„Silvesterchläuse“ nennt sich der bunte Maskentrupp, der noch heute jährlich am 13. Januar singend und lärmend durch die Täler im Schweizer Kanton Appenzell Ausserrhoden streift. Dann erst nämlich feiert das protestantische Urnäsch den Jahresschluss. Der eidgenössische Mummenschanz ist für jeden sichtbarer Beleg, dass der Jahresbeginn nicht immer und überall am selben Tag begangen wurde.
Schon in der Steinzeit hatten die Menschen ihr Leben an Phänomenen wie der Tag-und-Nacht-Gleiche oder der Winter- und Sommersonnenwende orientiert. Zu den ersten richtigen Kalendermachern aber gehörten Babylonier und Ägypter. Auch Juden und Römer hatten ihre eigene Zeitrechnung.
Das ursprüngliche römische Jahr begann am ersten Märztag. Daran erinnern bis heute die Monatsnamen. Beginnend im März war der September (von „septem“, sieben) der siebte Monat, der achte war der Oktober (von „octo“, acht), der November (von „novem, neun) der neunte und der zehnte der Dezember (von „decem“, zehn). Januar und Februar gab es in dem Kalender, der für eine Agrargesellschaft gedacht war, nicht, da in dieser Zeit meist nicht gearbeitet wurde.
Ein Jahr mit 355 Tagen
Erst später rückten Januar und Februar als elfter und zwölfter Monat auf den am Mondjahr orientierten Kalender nach. Mit 355 Tagen aber war das Jahr damals erheblich kürzer als heute. Um den Ausgleich zum Sonnenjahr herzustellen, musste man alle zwei Jahre ein paar Tage dranhängen. Dies war ein kompliziertes und vom Volk kaum verstandenes Kalendersystem, das vor allem die Bauern irritierte – denn es konnte sein, dass der Neujahrstag mitten in den Herbst fiel.
Im zweiten vorchristlichen Jahrhundert reformierten die Römer daher ihren Kalender. Die obersten römischen Staatsbeamten, die Konsuln, nahmen künftig am ersten Januartag ihr Amt auf. Damit wurde der 1. Januar zum offiziellen Jahresbeginn. Der antike Dichter Ovid schwärmte vom Jahresbeginn als einem „Tag, der es wert ist, mit besonderen Ehren begangen zu werden von einem Volk, das sich als die Herren der Welt versteht“.
Die römischen Herrscher verlängerten oder kürzten den Jahreslauf immer wieder nach Gutdünken, ehe Julius Cäsar dem Kalender-Wirrwarr ein Ende machte. Um das altrömische Jahr von seinen Schalttagen zu befreien, verlängerte er die einzelnen Monate und fügte einmalig zwei Schaltmonate von zusammen 67 Tagen in den Kalender ein. Damit war der Julianische Kalender geboren, der aus dem Mondjahr endgültig ein Sonnenjahr machte.
Nicht einheitlich
In den römischen Provinzen aber feierte man den Jahreswechsel weiter nach Lust und Laune. So setzte man in Kleinasien den Jahresbeginn auf den 23. September, den Geburtstag des Kaisers Augustus. In Ägypten fiel das Neujahrsfest auf den 29. August – an dem Tag beginnt die Koptische Kirche im Oberen Niltal noch heute ihr liturgisches Jahr. Auch im Kern Europas war der Jahresauftakt lange nicht einheitlich.
Nachdem die Christen ab dem vierten Jahrhundert die Geburt Jesu mehr und mehr am 25. Dezember feierten und damit die Grundlagen für das heutige Weihnachtsfest schufen, galt in den kirchlichen Kanzleien der Geburtstag des Herrn als neuer Neujahrstag. Vermutlich wollte die Kirche damit die am gleichen Tag stattfindenden Feiern zu Ehren des heidnischen Sonnengottes Mithras abwerten, den vor allem die römischen Soldaten verehrten.
Die Auseinandersetzungen um den Beginn des Jahres löste auch die Festsetzung des Geburtsfestes Christi nicht. Im Gegenteil: Während in den meisten deutschen und polnischen Erzbistümern, in Oberitalien, Ungarn und der Nordschweiz Weihnachten zum neuen Jahresanfang wurde, fiel er in Teilen Frankreichs und später auch in England auf den 25. März, den Tag Mariä Verkündigung. Die Engländer hielten an dieser Zählung bis 1752 offiziell fest.
Neujahrstag 25. März
Ähnlich ging es im Bistum Lausanne und im niederländischen Delft zu, wo man – wie auch in weiten Teilen Spaniens und Portugals – den 25. März als Neujahrstag feierte. Wieder eine andere Jahreseinteilung galt in Köln. Dort hatten Kurienbeamte den Jahresauftakt auf Ostern gelegt – eine Zählung, der sich das Frankenreich, Burgund, das Bistum Genf und Teile der Niederlande anschlossen.
Der von den heidnischen Römern bestimmte 1. Januar jedenfalls – darin waren sich die Christen fast überall einig – war als Jahresauftakt eines Christenmenschen unwürdig. 576 drohte das Konzil von Tours sogar jedem, der an diesem Datum festhielt, mit der Exkommunikation. Erst im 13. Jahrhundert besannen sich die ersten deutschen Städte auf die Vorzüge des römischen Kalenders: zuerst Frankfurt, dann auch Münster und Augsburg.

Zwei Jahresanfänge
Länder wie Frankreich und die Spanischen Niederlande folgten. Für Martin Luther gab es deshalb gleich zwei Jahresanfänge: einen weltlichen am 1. Januar („newer iars tag“) und einen religiösen am 6. Januar, dem Fest der Taufe Jesu („unsers Herrn Tauffstag, der recht New jars tag“), das erst im Rahmen der Liturgiereform 1969 auf den Sonntag nach Dreikönig verlegt wurde. Den katholischen Jahresbeginn legte erst Papst Innozenz XII. 1691 auf den 1. Januar.
Der Julianische Kalender der Römer aber hatte das Problem, dass nach seiner Rechnung das Jahr um elf Minuten und 14 Sekunden zu lang war. Das führte zu einer zunehmenden Abweichung vom Sonnenlauf. Papst Gregor XIII. schuf deshalb einen neuen Kalender, bei dem anno 1582 auf den 4. Oktober der julianischen Zeitrechnung direkt der 15. Oktober der neuen gregorianischen Zeitrechnung folgte.
Die Kalenderreform hatte es anfangs schwer – nicht zuletzt wegen der Spaltung der europäischen Christenheit in Katholiken und Protestanten. Nur die katholischen Länder – Spanien, Portugal, Italien und Polen – nahmen den neuen Kalender an. Frankreich und Lothringen folgten. Die Niederlande konnten sich nicht entscheiden – und in Skandinavien hörte ohnehin kaum jemand auf den Papst.
Auch in Deutschland war der Widerstand gegen den Gregorianischen Kalender groß. Folglich feierten Katholiken und Protestanten nebeneinander her: Weihnachten fand in katholischen Haushalten viele Tage vor dem Fest in protestantischen Familien statt. Schließlich legten die protestantischen deutschen Fürsten einen eigenen „verbesserten Kalender“ vor, den auch die protestantischen Kantone der Schweiz und die Skandinavier übernahmen.

Zwölf Monate zu 30 Tagen
Zuletzt starteten die Franzosen nach ihrer Revolution 1793 eine Kalenderreform. Das Jahr sollte fortan zwölf Monate mit jeweils 30 Tagen haben, denen am Jahresende fünf (in Schaltjahren sechs) Tage angehängt wurden. Zum Jahresbeginn bestimmte man die herbstliche Tag-und-Nacht-Gleiche. Die Woche wurde auf zehn Tage ausgedehnt, der Tag nicht mehr in 24, sondern nur noch in zehn Stunden eingeteilt, die aus je 100 Minuten bestanden.
Der buchstäblich revolutionäre Kalender hielt nicht lange: Schon 1805 musste Kaiser Napoleon ihn und die mit ihm einhergehende Dezimaluhr wieder abschaffen. Bauern und Handwerker hatten sich nicht mit der dadurch verlängerten Arbeitswoche abfinden können. Zurück blieben Dutzende Uhren mit dem neuen Dezimalsystem, die man heute als historische Kuriositäten in Europas Museen bewundern kann.
Es war der letzte Versuch, den Kalender neu zu gestalten. Der Siegeszug des Gregorianischen Kalenders war nicht mehr zu stoppen, zumal die päpstliche Reform auch auf der anderen Seite der Erdkugel immer mehr Wirkung zeigte. Japan rechnet seit 1872 gregorianisch, Griechenland seit 1923. Türken, Ägypter und Araber übernahmen 1972 die gregorianische Zählweise – und damit auch den ersten Januar als Neujahrstag.
Günter Schenk
