Dünkirchen an der Nordsee
Wo Frankreichs berühmtester Freibeuter begraben liegt

Da stutzt man. Kann das sein? Ein Piratengrab in einem christlichen Gotteshaus? In der französischen Hafenstadt Dünkirchen lautet die Antwort: ja. An prominenter Stelle am Altarraum der Église Saint-Éloi liegt Jean Bart (1650 bis 1702) begraben. Er stammte aus Dünkirchen und genießt dort bis heute hohe Verehrung. Sogar der unweit der Kirche gelegene Hauptplatz ist nach ihm benannt. Dort ehrt ihn ein monumentales Denkmal.
Wer mehr über Jean Bart erfahren will, besucht das Hafenmuseum, das in einem einstigen Lagerhaus untergebracht ist. Ein historisches Porträt zeigt Jean Bart so, wie man sich – wenn man etwa an Filmfiguren wie Jack Sparrow aus „Fluch der Karibik“ denkt – einen Freibeuter gerade nicht vorstellt. Kein Piratentuch. Kein zerzaustes Haar. Auch keine Tattoos, kein wilder Bart, keine Augenklappe.
Auf dem Ölgemälde ist Barts Gesicht glattrasiert. Darunter zeichnet sich der Ansatz eines Doppelkinns ab. Lippen, Augenbrauen und Nase sind fein geschwungen. Bart trägt elegante Kleidung und eine Lockenpracht. Er schaut mit scharfem Blick auf seine Betrachter. So hätte vor mehr als 300 Jahren auch ein amtlicher Würdenträger ausschauen können.
Dünkirchens Geschichte war immer mit dem Meer verbunden. Dazu gehörten Fischer, einer der größten Häfen Frankreichs – und Freibeuter, die dem Schutz der eigenen Bevölkerung dienten, aber auch bei Kaperfahrten in Aktion traten. Ihre Terrains waren zuvorderst die angrenzende Nordsee und der Ärmelkanal. Der berühmteste Korsar Jean Bart stammte aus einer Reederfamilie. Bereits als Zwölfjähriger heuerte er auf einem Schmugglerschiff an.
Pirat des Sonnenkönigs
Bart kämpfte sich in der Hierarchie nach oben und diente in der niederländischen Marine unter Admiral Michiel de Ruyter. 1672 kehrte er nach Dünkirchen zurück, wo sein eigentlicher Aufstieg einsetzte. Er avancierte zum Freibeuter des „Sonnenkönigs“: Ludwig XIV. Während des Niederländisch-Holländischen Kriegs 1672 bis 1678 bekam er die königliche Lizenz zum Plündern: in Form von Kaperbriefen. 1689 geriet er in englische Gefangenschaft, konnte jedoch fliehen.

Nach dem Sieg in der Seeschlacht von Texel 1694, bei der Bart einen für Frankreich bestimmten Schiffsverbund mit Getreidelieferungen aus niederländischer Hand befreite, wurde er in Dünkirchen begeistert empfangen. Bart war nicht nur ein klassischer Seeräuber. Durch Ernteausfälle war die hungernde Bevölkerung dringend auf Getreide angewiesen. Für diese Verdienste erhob der König ihn in den Adelsstand und nahm ihn in den „Ordre royal et militaire de Saint-Louis“ auf, den königlich-militärischen Ludwigsorden.
Eine Infotafel im Hafenmuseum hält Rückschau auf Barts Charakteristika. Der Korsar, steht da geschrieben, sei „ein geschickter und risikobereiter Freibeuter“ gewesen, der „Crews von bis zu 200 Männern befehligte“. Die Tafel lobt ihn als großen Führer und würdigt seine „neue Operationsmethode“: „Er attackierte in Abstimmung mit seinen untergeordneten Kapitänen und teilte die Beute.“
Todestag 27. April
Jean Bart, mit über zwei Metern Körpergröße ein Hüne, starb am 27. April 1702 in seiner Heimatstadt Dünkirchen. Die erwähnte Infotafel fasst die Verdienste „dieses ungewöhnlichen Offiziers“ zusammen: „Er eskortierte französische Konvois, trug Seeschlachten aus, beschützte Häfen, attackierte feindliche Handelsschiffe.“ Wie er es mit Skrupeln hielt und für wie viele Verluste an Menschenleben Jean Bart verantwortlich war, findet sich allerdings nicht vermerkt.
Zurück in die Église Saint-Éloi. Die riesige Hallenkirche gereicht alleine mit ihren Maßen einer Kathedrale zur Ehre. Sie liegt mitten im geschäftigen Zentrum auf dem Grund eines vormaligen Sumpflands, das bereits vor über einem Jahrtausend entwässert und trockengelegt wurde. Nach Zerstörungen des gotischen Vorläufers baute man die Kirche in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wieder auf. Geweiht ist sie dem heiligen Eligius (588 bis 660), der ursprünglich Goldschmied von Beruf war.

Unter den Merowingerkönigen Chlothar II. und Dagobert I. wurde Eligius Ratgeber und Münzmeister am Hofe. Der Überlieferung zufolge soll er viele Sklaven freigekauft haben. Nach Dagoberts Tod 639 gab er seinem Leben eine neue Wendung: Eligius empfing die Priesterweihe, wurde Bischof von Noyon und Tournai und verkündete das Evangelium im nördlichen Raum des Frankenreichs. „Trotzdem ist er niemals nach Dünkirchen gekommen, da der Landbezirk noch manchmal überschwemmt war“, liest man in der Broschüre zur Église Saint-Éloi.
Senkrechte Grabplatte
In der Kirche ist der Patron nur als relativ kleine Figur an einer Säule über Kopfhöhe präsent. Seine typischen Insignien sind Bischofsgewand, -stab und -mütze sowie in seiner Rechten ein Hammer als Goldschmiedewerkzeug. Näher am Hauptaltar, nämlich unterhalb des Begrenzungsgitters, das oben goldene Spitzen trägt, befindet sich außen das Grabmal von Jean Bart. Die Marmorplatte ist nicht in den Boden eingelassen, sondern steht senkrecht.
„Beten Sie zu Gott für ihre Seelen“
Die Kirchenbroschüre hebt das Grab auf einer Orientierungsskizze mit einem fetten Schriftzug und roten Pfeil hervor. Auf dem wappengekrönten Grabstein stellt ihn die Inschrift als Mitglied des Ludwigsordens heraus und verbürgt, dass an derselben Stelle auch Barts Gemahlin Marie Jacqueline begraben liegt. „Beten Sie zu Gott für ihre Seelen“, steht darunter. Hinter dem Grabstein klemmt Papierblumenschmuck am Gitter.
1928 exhumiert
Lange galt die genaue Stelle der Grablege als ungewiss. 1928 wurden die sterblichen Reste Jean Barts exhumiert. Danach bekam er seinen finalen Ehrenplatz nah am Altarraum – „eine Ausnahme“ für „einen der Dünkirchener Helden“, hebt eine Tafel hervor. „Ihre Titel der Ehre und ihre Geschichte waren den Dünkirchenern, aber ebenso im Königreich von Frankreich bekannt“, heißt es weiter. Die Tafel zeigt historische Schwarzweiß-Fotos der Exhumierungsarbeiten und Barts Totenschädel.
Mit einem Blick in eine Seitenkapelle mit der Skulptur der gekrönten Maria mit Jesuskind aus dem 18. Jahrhundert verabschiedet sich der Gast aus dem Gotteshaus des heiligen Eligius. Gegenüber der Kirche beherrscht der separat stehende Belfried die Altstadt. Nach einer Kombination aus Aufzugauffahrt und Treppenaufstieg erreicht man in 58 Metern Höhe die Außenplattform mit Türmchen und weiter Aussicht.
Der Blick schweift über die Häuserdächer, den Rathausturm und die Hafenbecken bis zur Nordsee. Möwen kreischen. Und vielleicht kann der Besucher ein altes lokalpatriotisches Kinderlied vernehmen, das die Dünkirchener ihrem Freibeuter gewidmet haben. Es lautet ungefähr so: „Jean Bart, Jean Bart, / wohin geht die Fahrt? / Nach Westen, nach Osten, / das soll uns nichts kosten, / da wollen wir schnappen / die goldenen Happen.“
Andreas Drouve
