Sympathie für die Revolution

Historiker Michael Hochgeschwender spricht über den Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg und seine Auswirkungen

 — © Foto: gem
Foto: gem
Am 4. Juli 1776 verabschiedete der Kontinentalkongress – hier dargestellt auf einem Gemälde von John Trumbull (um 1819) – die Unabhängigkeitserklärung der 13 britischen Kolonien in Nordamerika. Sie war die Folge des im April 1775 ausgebrochenen Unabhängigkeitskriegs gegen die britische Krone.

Am 19. April 1775 fanden die ersten Scharmützel amerikanischer Milizionäre mit britischen Truppen statt: der Beginn des Unabhängigkeitskriegs, in dem sich die britischen Kolonien in Nordamerika ihre Freiheit von London erkämpften. Der Aufstand war Resultat einer Mischung aus politischen, wirtschaftlichen und sozialen Spannungen. Michael Hochgeschwender, Professor für Nordamerikanische Kulturgeschichte an der Ludwig-Maximi­lians-Universität München, erläutert im Exklusiv-Interview die Ursachen und Auswirkungen des Kriegs.

Professor Hochgeschwender, welche politischen und wirtschaftlichen Spannungen führten zum Ausbruch des Amerikanischen Unabhängigkeitskriegs im Jahr 1775?
Die Amerikanische Revolution wurde durch ein komplexes Ursachenbündel ausgelöst, das nach dem Siebenjährigen Krieg eskalierte. Großbritannien hatte seine Kolonien während der sogenannten „salutory neglect“-Phase eher locker und ineffizient regiert. Dafür mussten die Kolonisten kaum Steuern, Abgaben und Zölle zahlen, obwohl die britische Regierung versuchte, den Handel zu regulieren und Zölle zu erheben. 
Nach der Haushaltskrise Großbritanniens im Jahr 1763, die vor allem auf den gewaltigen Rüstungsaufwand für die Royal Navy und den drohenden Bankrott der Ostindienkompanie zurückzuführen war, sahen sich Regierung und Parlament gezwungen, die Kolonisten stärker zu besteuern. Diese lehnten dies aus Interesse und aufgrund eines anderen Verfassungsverständnisses ab. In ihrer Propaganda betonten sie die mangelnde Repräsentation der Kolonien im Westminster-Parlament, ohne jedoch echtes Interesse an echter Repräsentation zu haben. 
Ein weiterer Grund war der Versuch der britischen Regierung, die Westexpansion durch die Royal Proclamation Line von 1763 und den Québec Act von 1774 einzudämmen, um kostspielige Indianerkriege an der Westgrenze zu verhindern. Zudem spielten die Einrichtung einer katholischen Hierarchie in Kanada und die Angst vor einer möglichen Einschränkung der Sklaverei in den südlichen Kolonien eine Rolle. 
Schließlich verärgerte es die Kolonisten, dass britische Truppen, die seit 1755 dauerhaft stationiert waren, und verstärkte Bemühungen der Royal Navy, die Zollgesetze durchzusetzen, immer präsenter wurden.
Warum eskalierte der Konflikt zwischen den Kolonisten und der britischen Krone ausgerechnet 1775?
Bereits seit den 1760er Jahren kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, insbesondere im Hinterland, wo Kleinbauern, die teilweise mit der Krone sympathisierten, Kleinkriege gegen die Oligarchen und Großgrundbesitzer der Ostküste führten. Als es 1773 in Boston, einer traditionell unruhigen Stadt, zu weiteren Ausschreitungen kam, wollten die Briten die Lage militärisch beruhigen, während sich viele Kolonisten radikalisierten. 
Wie reagierte das damalige Europa auf den Kriegsausbruch?
Die Reaktionen waren sehr unterschiedlich. Man war in Europa gut informiert, und viele Aufklärer sympathisierten mit der kolonialen, antibritischen Propaganda, besonders mit der Idee der Volkssouveränität. Andere, vor allem in Frankreich, Spanien und den Niederlanden, sahen die Chance, die Niederlage von 1763 zu revidieren.
Wie wurden der Krieg in anderen Teilen der britischen Kolonialwelt wahrgenommen?
Auch hier war die Wahrnehmung unterschiedlich. Radikale Whigs sympathisierten aus oppositionellen Gründen gegen die Tory-Regierung mit den Kolonisten. Andererseits ärgerten sich viele Briten über die steuerlichen Privilegien der amerikanischen Kolonisten.
Hatte der Krieg ökonomische Auswirkungen auf den transatlantischen Handel?
Die Auswirkungen waren relativ gering. Die amerikanischen Kolonisten waren bereits während des Siebenjährigen Kriegs 1756 bis 1763 Meister im Schmuggeln und setzten diese Tradition fort.
 — © Foto: privat
Foto: privat
Historiker Michael Hochgeschwender ist Professor an der LMU München.
Sahen die europäischen Monar­chien die republikanischen Ideen der amerikanischen Revolutionäre als Bedrohung für ihre eigenen Herrschaftssysteme?
Zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Sowohl der französische und spanische König als auch die russische Zarin zeigten Sympathie, die zum Teil aus strategischen Interessen resultierte und zum Teil durch das aufgeklärte Denken beeinflusst war. Die Zarin verweigerte mit Rücksicht auf die aufgeklärte öffentliche Meinung die Entsendung von 30 000 Kosaken für den britischen Krieg in Nordamerika. Selbst König Georg III. vertrat privat Ideen, die denen von Thomas Jefferson ziemlich ähnelten. 
Erst mit der Französischen Revolution gewann die nordamerikanische Revolution mehr Bedeutung, da sie als die „bessere“ Revolution angesehen wurde – angeblich weniger blutig. Auch der österreichische Fürst Metternich teilte diese Haltung. Die päpstlichen Staaten und Preußen gehörten zu den ersten europäischen Staaten, die Wirtschaftsbeziehungen mit den jungen USA aufnahmen. Man darf nicht vergessen, wie fragil das amerikanische Experiment einer territorialen Republik bis zum Bürgerkrieg der 1860er Jahre war. Noch bis in die 1880er Jahre hingen die USA wirtschaftlich stark vom britischen Kapital ab.
Welche Rolle spielten die rund 20 000 Soldaten aus Hessen im Unabhängigkeitskrieg in der deutschen Geschichtsschreibung?
Hessen-Kassel stellte den größten Teil der deutschen Soldaten, aber auch Hannoveraner und Braunschweiger, die dem Haus Hannover untertan waren, sowie Ansbacher und Nassauer waren vertreten. Diese „Hessen“ wurden in der deutschen Historiographie ambivalent behandelt: Einerseits überwog die aus der Aufklärungstradition stammende Kritik am Menschenhandel, insbesondere in Bezug auf Hessen-Kassel. Andererseits wiesen kurhessische Autoren auf die sozialen Fortschritte hin, die durch die britischen Subsidien ermöglicht wurden. Militärisch verloren die „Hessen“ nach der Niederlage in Trenton, mit Ausnahme der auf Guerillakrieg spezialisierten Jägerregimenter, an Bedeutung.
Wie hat der Krieg das koloniale Denken in Europa verändert?
Bis in die 1830er Jahre verlor der Kolonialismus etwas an Dynamik. Dennoch bemühten sich die Briten, in Indien und Australien Ersatz für die verlorenen nordamerikanischen Kolonien zu finden. Gleichzeitig nutzten sie den Kampf gegen den Sklavenhandel, um in Afrika Fuß zu fassen. Ab etwa 1830 begannen auch die Franzosen, im saharischen Afrika und später in Indochina aktiv zu werden, was zu einem weltweiten imperialistischen Wettlauf führte. In erster Linie verlor Spanien durch die lateinamerikanischen Revolutionen bis 1826 große Teile seines Kolo­nialreichs.
Welche Auswirkungen des Kriegs bis in die Gegenwart sehen Sie?
Die Amerikanische Revolution hatte zunächst vor allem ideelle Auswirkungen. Es ging um individuelle Freiheit, Volkssouveränität, freie Marktwirtschaft und soziale Mobilität – bald jedoch auch um kontinentale und globale Expansion. Später entwickelten sich die USA zur Welt- und Supermacht, die es verstand, ihre nationalen Interessen mit einem Feigenblatt aus liberalen und demokratischen Werten zu verschleiern. Genau diese Mischung wird heute in den USA von innen bedroht, da Donald Trump dabei ist, die Werte der Revolution zu entkernen.
 
Interview: Andreas Raffeiner
expand_less