Zum Welt-Down-Syndrom-Tag am 21.3.
Frohsinn und Empathie: Bei den „Saitenfreunden“ musizieren Menschen mit und ohne Handicap

Seit zehn Jahren leitet Waltraud Lorenz die inklusive Musikgruppe „Saitenfreunde“ in Neutraubling bei Regensburg. Die Gruppe wurde damals für einen Jugendlichen mit Down-Syndrom gegründet. Zum Welt-Down-Syndrom-Tag am 21. März erzählt Lorenz von den Auftritten im ganzen Bistum Regensburg, wie sich die Gruppe in ihrer Vielfältigkeit bereichert und warum es auf dem Gebiet der Inklusion noch viel zu tun gibt.
Alles begann damals, als die Pfarrhaushälterin in Neutraubling ihrem Neffen Sebastian Falter zum Schulanfang eine Veeh-Harfe schenkte. Der Junge mit Down-Syndrom war augenblicklich begeistert von dem Zupfinstrument. Die Veeh-Harfe hatte Ende der 80er-Jahre ein Landwirt in Franken für seinen Sohn mit Down-Syndrom entworfen. Sie ist mit Hilfe von Notenschablonen leicht zu erlernen. „Die Tante und die Schwester des Jungen kauften sich auch eine Harfe, und schlagartig haben Leute angefragt, ob sie auch mitmusizieren dürfen“, erinnert sich Waldtraud Lorenz. Die mittlerweile im Ruhestand befindliche Psychologin, die damals noch Dozentin für Psychologie an der Caritasfachakademie Regensburg war und mit ihrem Mann schon lange musikalisch aktiv war, übernahm kurzerhand die Leitung der Gruppe.
Musiker mit Handicap
Bereits nach wenigen Wochen fanden sich 18 Musiker zusammen, unter ihnen auch Marcus Meichel, ein weiterer Musiker mit Handicap. Der heute 52-Jährige, der an Spasmus leidet, ist nicht nur am Schlagzeug ein Meister. Er beherrscht es auch eindrucksvoll, mit Löffeln zu musizieren. Bis vor kurzem gehörte auch ein blinder Bassist zur Gruppe, der alles nach Gehör spielte.
Die Gruppe „Saitenfreunde“ gehört zur Pfarrei St. Michael in Neutraubling und ist dort ein fester Bestandteil der Kirchenmusik. Bis heute gestalten die Musiker regelmäßig Gottesdienste, Andachten oder Trauerfeiern. „Besonders zur Advents- und Weihnachtszeit sind wir mittlerweile nahezu ausgebucht“, sagt Lorenz.

Da neben der Veeh-Harfe einige Musiker noch andere Instrumente beherrschen, muss die 68-Jährige alle Stücke extra für diese Besetzungen arrangieren. „Dabei orientiere ich mich, soweit es geht, an den Originalwerken, stimme aber den Schwierigkeitsgrad auf das Können des jeweiligen Musikers ab.“ Neben klassischen Stücken, wie beispielsweise dem Frühling von Vivaldi, hat die Gruppe auch eine Vorliebe für festliche alpenländische Musik.
Auch interkulturell
Nicht nur der Inklusionsgedanke begleitet die Gruppe – auch interkulturell ist sie gut aufgestellt. Eine Musikerin aus Polen und zwei Priester aus Afrika sind mit Herzblut dabei. Die Gruppe arbeitet ausschließlich ehrenamtlich, auch viele Familien der Musiker bringen sich im Hintergrund tatkräftig ein. Spenden werden zu 100 Prozent zur Unterstützung der kirchlichen Arbeit in Kamerun wie zur Bezuschussung von Schulgebühren weitergegeben.
Das Schöne an der Gruppe ist das gute Miteinander. „Wir strahlen wohl etwas Besonderes aus – anders ließen sich die vielen positiven Rückmeldungen nach unseren Konzerten oder auch die Verleihung des Integrationspreises der Bayerischen Staatsregierung im Jahr 2019 nicht erklären“, so die 68-Jährige. Neben dem geselligen Zusammensein nach jeder Probe sei es bei den „Saitenfreunden“ ganz normal, dass jeder Musiker gleich wichtig sei. „Da gibt es keine Starallüren.“ Überhaupt ist Lorenz überzeugt davon, dass in der Musikgruppe alle gegenseitig von ihrer Vielfältigkeit profitieren.
Alle lernen voneinander
Für die Menschen mit Handicap bedeutet die Gruppe ein großes Stück Normalität. „Hier erfahren sie, dass sie einen wichtigen Beitrag zur Gesellschaft leisten – neben der schönen Musik können sie durch die Spenden auch ganz konkret etwas Gutes in Afrika bewirken.“ Aber auch alle anderen könnten eine Menge lernen, betont Lorenz. „Wir sind zum Beispiel durch Marcus und Sebastian sensibilisiert worden, unsere Mitmenschen besser im Blick zu haben.“
So achtet jeder in der Gruppe selbstverständlich darauf, dass Markus Meichel, der an Spasmus leidet, nicht über eine Stufe stolpert. Oder dass Sebastian Falter bei Konzerten die Dirigentin gut sieht. „Und das geschieht in einer großen Natürlichkeit“, sagt Lorenz. Genauso würde sie es sich in der Gesellschaft wünschen. „Oft sind die Menschen unsicher, wie sich sich gegenüber Behinderten verhalten sollen“, so die Psychologin. In einer Leistungsgesellschaft wie in Deutschland würde oft automatisch die Behinderung in den Vordergrund gestellt werden. Doch es gehe darum, Menschen mit Handicap ganz normal zu behandeln und sie möglichst oft am normalen Leben teilhaben zu lassen – wie es eben der Fall ist, wenn sie in einer Musikgruppe mitspielen. „Leider gibt es hier bei der Inklusion noch viel zu tun.“
Großes Tal der Tränen
Zudem sind gerade der Frohsinn und die Empathie der beiden Männer mit Handicap eine enorme Bereicherung für die ganze Gemeinschaft, betont Lorenz. „Es ist traurig, dass die meisten Kinder mit Down-Syndrom heute nicht auf die Welt kommen dürfen“, sagt sie. Natürlich sei vieles herausfordernd mit einer solchen Behinderung. So war es auch für die Mutter von Sebastian Falter nach der Geburt ihres Sohnes erstmal sehr schwer: „Sie musste durch ein großes Tal der Tränen gehen.“ Doch mit Hilfe ihres familiären Rückhaltes und ihres gesunden Glaubens konnte sie ihren Sohn immer mehr annehmen. „Heute ist die Familie sehr glücklich mit Sebastian“, weiß die Psychologin

Chancen entdecken
Deshalb rät sie auch Eltern, die in der Schwangerschaft von einer Krankheit ihres Kindes erfahren, sich möglichst Zeit zur Verarbeitung zu nehmen. „Erst einmal ist das Ganze ein Schock und man sieht nur die Probleme und Defizite.“ Aber in einem zweiten Schritt könne sich die Situation verändern. Stück für Stück könnten viele Eltern ihr Kind dann in seiner Besonderheit annehmen und auch die Chancen in dieser Diagnose sehen. Unumgänglich sei dabei ein gutes Netzwerk, auch von Fachleuten. „Dass es in so einem Prozess immer wieder zu Stimmungsschwankungen und Unsicherheiten kommt, ist ganz normal.“
Auch müsse laut Lorenz noch viel Aufklärungsarbeit über die Hintergründe von Behinderungen betrieben werden. Zum Beispiel sei es vielen immer noch nicht klar, dass das Down-Syndrom durch eine fehlerhafte Anordung der Chromosomen bei der Zeugung entstehe und nichts mit äußeren negativen Einflüssen in der Schwangerschaft zu tun hätte. Darüber hinaus müssten die positiven Aspekte der chromosomalen Besonderheit, wie die fröhlich-mitfühlende Wesensart, mehr in den Vordergrund gestellt werden. Ebenso wie die gute Entwicklung der betroffenen Kinder, wenn sie eine entsprechende Förderung erhielten.
Ihren nächsten Auftritt haben die „Saitenfreunde“ am Sonntag, 23. März. An diesem Tag findet in St. Michael in Neutraubling ein Gottesdienst anlässlich des Welt-Down-Syndrom-Tages statt. „Oft sind Behinderte etwas lauter oder bewegen sich mehr – doch an diesem Tag ist das ganz besonders willkommen“, so Lorenz. Außerdem seien Besucher mit Handicap eingeladen, sich am Gottesdienst bei verschiedenen Aktionen zu beteiligen.
Elisabeth Weiten