Fasziniert und herausgefordert

Sophie Bonelli berichtet von ihrem Einsatz in Bolivien

 — © Foto: Bonelli
Foto: Bonelli

AUGSBURG/SANTA CRUZ DE LA SIERRA – Die 18-jährige Sophie Bonelli aus Kempten hat voriges Jahr Abitur gemacht und arbeitet seit September als Freiwillige in einem Projekt der Salesianer Don Boscos in Bolivien. Sie berichtet für unsere Zeitung von ihrem Einsatz:

Buenos días a todos! Hallo zusammen! Mein Name ist Sophie Bonelli. Dass ich nach dem Abitur nicht direkt studieren wollte, war mir schon länger klar. Ich wollte den Blick von meinem akademischen Werdegang abwenden und ein Jahr meines Lebens der Gemeinschaft widmen.

Da mich seit einem Schüleraustausch im Jahr 2022 in Kolumbien die lateinamerikanische Kultur reizte, habe ich nach einer Möglichkeit gesucht, einen Freiwilligendienst im Ausland zu machen. Diese Möglichkeit haben mir die Salesianer Don Boscos mit ihrer Organisa­tion Don Bosco Volunteers geboten.

So ging es für mich Anfang September im Zuge des entwicklungspolitischen Freiwilligendienstes „Weltwärts“ in das 10 284 Kilometer entfernte Santa Cruz de la Sierra in Bolivien. Dort helfe ich seitdem im Proyecto Don Bosco mit, einem Zusammenschluss aus vier unterschiedlichen Einrichtungen für Kinder und Jugendliche in Not.

Ein Dach über dem Kopf

Diese Kinder und Jugendlichen stammen entweder aus schwierigen familiären Verhältnissen, wurden vernachlässigt, misshandelt oder missbraucht, haben auf der Straße gelebt oder sie haben keine Eltern mehr. In den unterschiedlichen Einrichtungen des Projekts wird ihnen ein Dach über dem Kopf, Verpflegung, Bildung, psychologische und medizinische Betreuung sowie alles weitere Notwendige geboten.

Neben einem Heim für Jungen, die direkt von der Straße kommen, einer Notfall-Auffangstation für Mädels und kleine Buben, gibt es außerdem noch meine Arbeitsstelle, das Hogar Don Bosco, ein dauer­haftes Heim für Jungen im Alter von sechs bis 18 Jahren. Darin gehen sie einem geregelten Tagesablauf nach und können neben der Schulbildung auch schon in Ausbildungen reinschnuppern. Diese können sie in der vierten Einrichtung weiterführen, sobald sie 15 Jahre alt sind. Hier sparen sie außerdem das Geld, das sie bei ihrer Ausbildung erhalten,  um mit Erreichen der Volljährigkeit auf eigenen Beinen stehen und ins Leben entlassen werden zu können.

In allen Heimen werden die Kinder und Jugendlichen auf Grund­lage der christlichen Werte erzogen, sprechen vor und nach jeder Mahlzeit ein Tischgebet, gehen zwei Mal die Woche zur Kirche und beten regelmäßig den Rosenkranz. Mich fasziniert jedes Mal aufs Neue diese von unglaublich vielen jungen Menschen gefüllte Kirche, in der alle freudig mitbeten und mitsingen und in der alle ihre Kraft aus Gott schöpfen. Sie wissen, dass sie sich auch in schlechten Zeiten an Gott wenden können.

Ich bin jetzt schon seit fünf Monaten hier in Santa Cruz, und mir geht es super. Die Arbeit mit den Jungs erfüllt mich total, und man lernt jeden Tag etwas dazu. Manchmal braucht man viel Geduld. Aufgrund ihrer Vergangenheit zeigen viele der Kinder Verhaltensweisen, die einen besonderen Umgang erfordern.

Ich helfe den Jungs vor allem bei ihren Hausaufgaben, bin aber auch in ihrer Freizeit für sie da und bin neben den Erziehern und psychologischen Betreuern des Projekts eine weitere Ansprechpartnerin für sie. Die Jungen nehmen diese Möglichkeit, sich mir öffnen zu können,  auch oft wahr.

Das ist gleichzeitig der schöne, aber auch der schmerzhafte Teil meiner Arbeit. Dass sie mir von ihrer Vergangenheit erzählen, ist für mich etwas total Besonderes, weil es mir zeigt, dass sie mir vertrauen. Gleichzeitig nimmt es mich auch unglaublich mit, davon zu hören: Es gibt vernachlässigte und misshandelte Kinder sowie Fälle, in denen die Eltern drogenabhängig, kriminell oder in den Drogenhandel verwickelt sind.

Mit der Sprache habe ich glücklicherweise fast keine Schwierigkeiten, da ich schon ab der achten Klasse in der Schule Spanisch gelernt habe. Eher ist es die bolivianische Kultur, die mich auf der einen Seite fasziniert, auf der anderen aber auch oft herausfordert. Das Leben in Bolivien ist laut und chaotisch, und Pünktlichkeit steht auch nicht gerade auf der Tagesordnung. Dafür wissen die Bolivianer, das Leben so zu nehmen, wie es kommt. Sie sind wahre Improvisationskünstler, ganz nach dem Motto: „Was nicht passt, wird passend gemacht.“ Eine Lebenseinstellung, von der man lernen kann!

Manche Bolivianer sind am Anfang eher ein bisschen verschlossen. Sobald sie einen einmal kennengelernt und Vertrauen gefasst haben, sind sie so unglaublich nette und hilfsbereite Personen, dass man mit ihnen Pferde stehlen könnte.

Auch wenn ein Freiwilligendienst einen teilweise psychisch, physisch sowie emotional fordert, gibt die Arbeit einem sehr viel zurück, und man lernt einiges. Die Jungs lassen mich jeden Tag mit einem Lächeln im Gesicht nach Hause gehen, und ich bin überglücklich, hier noch weitere sieben Monate gemeinsam mit ihnen verbringen zu können.

Sophie Bonelli

Information

Die Autorin berichtet über ihre Erfahrungen ausführlich in einem Blog unter www.blogs.­donboscovolunteers.de/­sophisitaenbolivia.

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