Hoffen auf ein neues Wunder

Die Menschen auf der Insel Korfu verehren den heiligen Spiridon als Mann des Volkes

 — © Foto: Schenk
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Ein Pope trägt bei der Prozession zu Ehren Spiridons ein Reliquienkästchen durch die Straßen von Kerkyra.

An diesen Moment vor dem Portal der Kirche Agios Spiridonos wird sich der kleine griechische Junge lange erinnern. Ganz fest haben die Eltern in Korfus Hauptstadt Kerkyra ihren schwerkranken Sohn untergehakt, geben dem vor Aufregung zitternden Jungen Halt. Auf einen mit Silber beschlagenen Ebenholzsarg sind seine Augen gerichtet: auf die Reliquien des heiligen Spiridon, dem auf der Insel Wunder nachgesagt werden – Heilungen, die sich keiner erklären kann.

Fürsprache des Heiligen

Auf ein Wunder hofft auch die Familie – jetzt, wo die Ärzte mit ihrem Latein am Ende sind und die Fürsprache des Heiligen die einzige Hoffnung bleibt. Wie die Familie stehen hunderte Menschen vor den Toren der Kirche und weiter in den Straßen der Altstadt bis runter zur alten Festung am Meer Spalier. Sie warten auf die sterblichen Reste des Mannes, den sie auf Korfu nur „den Heiligen“ nennen. Seinen Leichnam tragen sie auf Korfu viermal jährlich durch die Straßen (siehe „Info“).

Einfach und bescheiden soll Spiridon gewesen sein, ein Mann des Volkes, kein Mann großer Worte, eher der Taten. Manches Wunder wurde ihm schon zu Lebzeiten zugeschrieben. Mehr noch aber lernten die Bürger Korfus den frommen Mann zu schätzen, nachdem man seinen Leichnam nach Kerkyra überführt hatte. So erzählt man sich die Geschichte, wie er auf Fürbitten der Insulaner die Insel 1716 vor den Türken rettete oder sie im Lauf der Jahrhunderte vor Pest, Cholera und Hunger bewahrte.

Start und Ziel jeder Prozession ist seine Grabeskirche, deren schlanker Turm die engen Gassen der Altstadt überragt. Lorbeerblätter pflastern den Prozessionsweg. Pilger und Priester tragen Kerzen mit sich, viele auch Sträußchen aus Basilikum und anderen grünen Kräutern. Am Wegrand bieten Händler Devotionalien feil: Ikonen aller Art, mehr Kitsch als Kunst, Holztäfelchen und Metallplättchen mit Bildnissen Spiridons. Auch auf großen Fahnen, die der Prozession vorausgetragen werden, ist Spiridon präsent.

Uniformierte Orchester stimmen die Zaungäste festlich ein: Bläser und Trommler, die wie die orthodoxen Popen zum religiösen Rundgang Gala angelegt haben. Geistliche aus allen Regionen Korfus sind es, hin und wieder auch vom griechischen Festland oder den Nachbarinseln. Wie Platzmacher schreiten sie der Reliquie voran, die traditionell unter einem Himmel steckt, eskortiert von Kerzenträgern, Weihrauchschwenkern und einer maritimen Leibgarde.

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Uniformierte Orchester spielen zur Prozession auf.

Stockt der Zug, hasten Männer und Frauen hin und wieder zu den Gebeinen des Heiligen, küssen sie kurz, um ebenso schnell wieder in den Reihen der Zaungäste zu verschwinden. Denn für die Mehrheit der Korfioten ist der Bittgang zu Ehren Spiridons noch immer gelebte Volksfrömmigkeit. Und nicht zuletzt ein Hoffnungsanker für den Fall, dass das Volk mal wieder richtig in Not geraten sollte. 

Zum Bischof berufen

Der Heilige wurde der Überlieferung zufolge um das Jahr 270 auf Zypern geboren. Dort lebte er lange Zeit als Hirte. Nach dem Tod seiner Frau zog er sich als Mönch zurück. Sein frommes Leben prädestinierte ihn dazu, zum Bischof seiner Heimatstadt berufen zu werden. Historisch nicht gesichert ist Spiridons Teilnahme am Konzil von Nicäa, wo er sich für die damals umstrittene Wesensgleichheit Jesu mit Gottvater stark gemacht haben soll. Mitte des vierten Jahrhunderts starb er.

Als man Jahre später sein Grab öffnete, fand man seinen Leichnam angeblich unversehrt und süßlich duftend vor. Das sahen die Menschen als untrüglichen Beweis seiner Heiligkeit. In der zweiten Hälfte des siebten Jahrhunderts kamen Spiridons Gebeine in die Reichshauptstadt Konstantinopel. Von dort brachte sie Mitte des 15. Jahrhunderts ein Priester vor den anrückenden Türken nach Korfu in Sicherheit.

Heute gilt Spiridon (auch Spyridon geschrieben) als Nationalheiliger der Insel im Westen Griechenlands. Sein Gedenktag ist der
12. Dezember. Ihm zu Ehren taufen viele Eltern auf Korfu noch heute ihre Söhne auf den Namen Spiros.

Günter Schenk

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Händler bieten am Wegrand Devotionalien mit Darstellungen des heiligen Spiridon an.
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