Gewalt in Syrien
Die Alawiten: Eine Minderheit zwischen Macht und islamistischem Terror

Die Welt war erstaunt über den schnellen Fall des Regimes von Baschar al-Assad in Syrien im vergangenen Dezember. Die Ereignisse in der ersten März-Woche haben nun deutlich gemacht, dass die in Damaskus vermeintlich fest im Sattel sitzende islamistische Hai’at Tahrir al-Scham (HTS) im traditionellen Stammland der Alawiten durchaus noch auf Widerstand trifft.
Zwar war es der HTS schnell gelungen, die Großstädte in Zentralsyrien einzunehmen und die Herrschaft in der Hauptstadt Damaskus zu erlangen. Anders aber stellte sich die Lage im Hauptsiedlungsgebiet der Alawiten dar, vor allem in den Gebirgsregionen in Nordwestsyrien nahe der Küste. Hier, wo die Alawiten die Bevölkerungsmehrheit stellen, waren sie zum bewaffneten Widerstand gegen das neue Regime bereit.
Bei den jüngsten Kämpfen und Ausschreitungen (wir berichteten in Nr. 12) kamen mehr als 1000 Menschen ums Leben. 125 Tote seien Sicherheitskräfte des neuen Regimes gewesen, heißt es, daneben 148 militante Alawiten, aber auch 745 alawitische Zivilisten. Mitunter kursieren auch weit höhere Opferzahlen. Es soll zu regelrechten Massakern an unbeteiligten Alawiten gekommen sein. Auch ausländische Islamisten sollen beteiligt gewesen sein, darunter Tschetschenen.

Die Alawiten gingen im neunten Jahrhundert aus dem schiitischen Islam hervor. Ihre Hauptsiedlungsgebiete sind neben der gebirgigen Region um die nordwestsyrischen Städte Latakia, Tarsus und Banias der Norden des Libanon und der Südosten der Türkei. Ihre Glaubenslehre hat stark esoterischen Charakter: Nur eine kleine Gruppe von Gläubigen, die auch die wirtschaftliche und politische Oberschicht bildet, ist in die inneren Geheimnisse des Glaubens eingeführt.
Göttliche Dreifaltigkeit
Die Alawiten sind wie die Drusen zwar aus dem Islam hervorgegangen, aber letztlich nicht mit ihm kompatibel. Zur alawitischen Lehre gehören der Glaube an die Wiedergeburt, ein Zyklus mit sieben Inkarnationen, eine göttliche Dreifaltigkeit und die Seelenwanderung. Periodisch tritt der namenlose Gott in irdischer Form in Erscheinung: zuletzt in Gestalt des islamischen Religionsstifters Mohammed, seines Schwiegersohns Ali und seines Gefährten Salman al-Farisi.
Ähnlich wie die Drusen haben sich die Alawiten vorzugsweise in schwer zu kontrollierende gebirgige Gegenden zurückgezogen. Seit jeher führen sie eine eher marginalisierte Existenz. Im unabhängigen Syrien boten sich ihnen Optionen vor allem beim Militär. Auch Hafiz al-Assad, der Vater des 2024 gestürzten Präsidenten und Begründer der Assad-Dynastie, ging diesen Weg und machte beim Militär eine steile Karriere.
Fest in alawitischer Hand
Er wurde zunächst Verteidigungsminister und 1971 syrischer Präsident. Er festigte konsequent seine Macht – auch dadurch, dass er wichtige Stellen mit Alawiten besetzte. Der ganze Staat war durchdrungen von Angehörigen der Minderheit in zahlreichen Schlüsselpositionen. Auch Christen profitierten von der religiösen Freiheit. Spitzenämter besetzte Assad mit Familienmitgliedern. So übernahm bei seinem Tod 2000 sein Sohn Baschar ein Land, das fest in alawitischer Hand war.
Obwohl sie nur rund zehn Prozent der syrischen Bevölkerung darstellen, waren die Alawiten dominant in allen Bereichen. So sicherte die Familie Assad ihre Herrschaft. Die Alawiten sicherten sich Einfluss und Vorteile als unverzichtbare Stützen der Macht. Erst als es in der ganzen arabischen Welt zu gären begann und der „Arabische Frühling“ in Syrien zu Revolution und Bürgerkrieg führte, brach das alawitische Assad-System nach und nach zusammen.
Alfred Schlicht/red
