Sein Gewissen leitete ihn

70. Todestag von Erwin von Lahousen: Zeuge von Nazi-Verbrechen, Hitlergegner und Christ in Uniform

 — © Foto: PicturePrince/CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)
Foto: PicturePrince/CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)
Das Grab der Familie Lahousen von Vivremont befindet sich auf dem Wiener Zen­tralfriedhof. Hier ruht seit 1972 auch Abwehr-Offizier Erwin Lahousen.

Er war sehr nah dran an den Nazis und ihren Verbrechen. Sein Gewissen und sein Glaube aber halfen ihm, das Unrecht zu erkennen: Vor 70 Jahren, am 24. Februar 1955, starb der deutsche Nachrichtenoffizier Erwin Lahousen. Seine umfangreiche Zeugenaussage im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher 1945 trug dazu bei, mehrere NS-Größen zu verurteilen.

„Verräter, Schwein“, tönte es am 30. November 1945 von der Anklagebank im Nürnberger Justizpalast. Den Nazi-Granden, die dort saßen, war der Ärger anzusehen. Generalmajor Erwin Lahousen hatte gerade als Zeuge der Anklage ausführlich von Verbrechen im NS-Staat berichtet: vom Sicherheitsdienst der SS, vom Oberkommando der Wehrmacht und aus der engeren Entou­rage Adolf Hitlers.

Zwölf Todesurteile

Sein Gewissen zu entlasten, hatte den Katholiken Lahousen zur Aussage in Nürnberg bewogen. Seinen christlichen Glauben habe er immer als inneres Korrektiv empfunden, sagte er später einem britischen Journalisten. Und viel hatte er zu berichten. Am Ende verurteilte der Gerichtshof zwölf NS-Größen zum Tode. Elf Urteile wurden in der Nacht auf den 16. Oktober 1946 vollstreckt. Reichsmarschall Hermann Göring hatte sich wenige Stunden zuvor mit einer Giftkapsel das Leben genommen.

Als Offizier des Wehrmacht-Geheimdiensts, der Abwehr, nahm Lahousen bis knapp vor Kriegsende an brisanten Sitzungen teil und war über vieles im Bilde, was im „Dritten Reich“ an Verbrechen geplant, befohlen und durchgeführt wurde. So hatte sein oberster militärischer Vorgesetzter Wilhelm Keitel, Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, angeordnet, politische Kommissare der Roten Armee zu erschießen – ein klarer Verstoß gegen die Haager Landkriegsordnung von 1899.

Durch seine Dienstreisen an die Ostfront erlebte Lahousen auch das Elend in den Kriegsgefangenen­lagern hautnah mit. Kannibalismus war unter sowjetischen Gefangenen praktisch an der Tagesordnung. Auch über die Massenerschießungen in der heutigen Ukraine wusste er Bescheid. Lahousen galt als „wasserdicht“ und genoss das Vertrauen seiner Vorgesetzten – eine Tatsache, die sie später bereuten.

 — © Foto: US Army/gem
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Erwin Lahousen als Zeuge während des Nürnberger Prozesses.

Ende August 1939 bekam Lahousen Order, mit einer Einheit der Abwehr, die teilweise in polnische Uniformen gekleidet war, den Jablunka-Pass an der polnischen Grenze zu besetzen, um dann zu verhindern, dass polnische Truppen einen strategisch wichtigen Eisenbahntunnel sprengen. Wenige Stunden später sollte der Groß­angriff der Wehrmacht auf Polen erfolgen. Adolf Hitler zog den Befehl zur Invasion aber kurzfristig zurück. Lahousens Männer erfuhren das nicht mehr. Ihr Vorstoß schlug fehl, blieb aber folgenlos.

Nur wenige Tage nach dem schließlich am 1. September erfolgten deutschen Angriff nahm Lahousen an einer Lagebesprechung in einem Sonderzug Hitlers nahe Warschau teil. Außenminister Joachim von Ribbentrop ordnete an jenem 12. September 1939 die Bombardierung polnischer Städte und Massenmorde an jüdischen Zivilisten an.

All dies berichtete der Österreicher den US-Anklägern in Nürnberg und sorgte damit für starre Gesichter auf der Anklagebank. Dass mit der Zeugenaussage Lahousens das Schicksal der meisten Nürnberger Angeklagten besiegelt schien, sei Prozessbeobachtern von da an klar gewesen, erinnern sich Zeitzeugen.

Doch Lahousen ließ in Nürnberg noch eine weitere Bombe platzen: Die Welt erfuhr, dass er zu den Akteuren rund um das gescheiterte Attentat Claus von Stauffenbergs auf Hitler am 20. Juli 1944 gehört hatte. Historiker schätzen, dass bis zu 20 Prozent der Angehörigen des militärischen Nachrichtendienstes gegen Hitler gearbeitet haben – allen voran Abwehr-Chef Admiral Wilhelm Canaris. Er wurde dafür noch im April 1945 gehängt.

„Anfangs beschränkte sich der Widerstand gegen Hitler auf Mäßigung im Umgang mit der Bevölkerung im Feindesland“, sagt Historiker Wolfgang Blaschke von der FU Berlin. Oft blieb das ohne Erfolg, da der Rassenkrieg Teil der Planung der NS-Führung war. Die größten Widersacher Lahousens saßen dabei im Reichssicherheitshauptamt, dem Zentrum der politischen Polizei und des NS-Terrors. Dort sah man das eigenständige Agieren der Abwehr mit Argwohn.

„Typisch für NS-Diktatur“

„Konkurrierende Organe, die teils mit ähnlichen und gleichen Aufgaben beauftragt waren und eifersüchtig um die Gunst des Führers buhlten, sind typisch für die NS-Diktatur“, erklärt der Bonner Historiker Klaus Hildebrand das eigenartige Nebeneinander ähnlich beauftragter Dienststellen im Nazi-­Reich. Wann immer es zum Streit kam, konnte Hitler diesen in seinem Sinne entscheiden und sich als „Führer“ profilieren.

Lahousen verstand es, sich in dem NS-Sicherheitsapparat zu bewegen. Zupass kamen ihm seine Fremdsprachenkenntnisse: Er sprach neben Französisch auch fließend Polnisch und Ungarisch. 1929 hatte er zudem ein Spezialtraining mit Sprengstoffen für Sabotageoperationen absolviert. Seine „Operation Pastorius“, bei der 1942 acht deutsche Agenten in den USA kriegswichtige Fabriken zerstören sollten, ging allerdings schief. Lahousen schrieb das einer dilettantischen NS-Bürokratie zu.

Stets blieb er dabei unter dem Radar der Gestapo. Zugleich pflegte Lahousen konspirative Kontakte zu gegnerischen Diensten, etwa nach Frankreich. Das brachte ihm nach Kriegsende den Status eines Kronzeugen ein. „Lahousen war der Gestapo bei den Untersuchungen zum Attentat auf Hitler nicht aufgefallen, da er sich rechtzeitig an die Ostfront gemeldet hatte und dort schwer verwundet wurde“, mutmaßt Historiker Blaschke.

Benedikt Vallendar

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